Selektive Dämpfung: US-Forscher haben einen Noise-Cancelling-Kopfhörer entwickelt, der Außengeräusche erst ab einer bestimmten Entfernung vom Träger dämpft. Dies erzeugt eine „Schallblase“, in der wir beispielsweise die Stimmen unseres Gesprächspartners laut und deutlich hören, nicht aber den Lärm am Nebentisch. Möglich wird dies durch ein integriertes KI-System, das diese selektive Dämpfung in Echtzeit steuert, wie das Team in „Nature Electronics“ berichtet.
Ob im Restaurant, im Großraumbüro oder im Lärm einer Bahnhofshalle: In lauten Umgebungen fällt es uns oft schwer, einem Gespräch zu folgen. Zwar nutzt unser Gehirn spezielle Mechanismen, um sich selektiv auf die Stimme unseres Gegenübers zu fokussieren. Aber diese Filter-Fähigkeit ist nicht bei jedem Menschen gleich gut ausgeprägt – und bei Kindern muss sie sich erst allmählich entwickeln. Noch schwieriger ist es für Menschen, die auf ein Hörgerät angewiesen sind: Bei diesen funktioniert die selektive Verstärkung nicht oder nur bedingt.
Dämpfung erst ab einem bis zwei Metern
Doch ein neu entwickelter KI-Kopfhörer könnte nun Abhilfe schaffen: Das von einem Team der University of Washington konstruierte Gerät erzeugt eine „Schallblase“ um uns herum, innerhalb der wir alles klar hören, dämpft aber alle aus größerer Entfernung kommenden Geräusche um 49 Dezibel – Baulärm oder ein Staubsauger werden so auf die Lautstärke eines Blätterraschelns herabgedimmt. Die Grenze zwischen der gedämpften Außenzone und dem Nahbereich kann dabei auf einen bis zwei Meter eingestellt werden.
Auf den ersten Blick scheint dies nichts Besonderes, doch möglich ist dies nur, wenn der Kopfhörer und die in ihm arbeitende künstliche Intelligenz die Entfernung von Schallquellen genau bestimmen kann – keine triviale Aufgabe: „Menschen sind nicht besonders gut darin, die Entfernungen von Geräuschen abzuschätzen, insbesondere wenn es mehrere Schallquellen um sie herum gibt“, erklärt Seniorautor Shyam Gollakota. Und auch selektiv filternde Kopfhörer wie die AirPods Pro 2 werten nicht die Schallentfernungen aus, sondern verstärken den frontal eintreffenden Schall, damit ist ihr Effekt unpräzise und abhängig von der Kopfposition.
Subtile physikalische Unterschiede helfen der KI
„Unser KI-System kann dagegen für jede Schallquelle im Raum die Entfernung lernen und diese in Echtzeit, innerhalb von acht Millisekunden, verarbeiten“, sagt Gollakota. Um dies zu erreichen, trainierte das Team das im Kopfhörer integrierte neuronale Netzwerk mithilfe einer robotischen Plattform. Auf dieser stand im Zentrum ein Dummykopf mit dem Kopfhörer, während ein sich bewegender Lautsprecher Geräusche aus verschiedenen Entfernungen abspielte. Der Kopfhörer empfängt den Schall über sechs integrierte Lautsprecher und verarbeitet ihn.
Doch wie funktioniert die Entfernungsbestimmung? Wie genau die künstliche Intelligenz dies lernt, ist unklar. Die Forscher vermuten aber, dass mehrere physikalische Effekte dem System dabei helfen. Zum einen verändern sich die Phasen einer Schallwelle je nach Entfernung und Frequenz, der Vergleich der Phasen kann daher bei der Entfernungsbestimmung helfen. Zum anderen nutzt das System Reflexionen des Schalls von der Kopfoberfläche als zusätzlichen Vergleichswert.
Einsetzbar in Innenräumen und bald auch für Hörgeräte
Nach Ansicht von Gollakota und seinem Team könnte die Schallblase überall dort nützlich sein, wo Störgeräusche aus der weiteren Umgebung ausgeblendet werden soll, naher Schall wie die Stimme des Gesprächspartners aber durchdringen sollen. „Unsere Arbeit hat sich bisher auf Innenraum-Umgebungen wie Büros, Konferenzräume oder laute Restaurants konzentriert“, erklärt das Team. Für den Einsatz im Freien fehlten ihnen noch die geeigneten Trainingsdaten.
Als nächste Schritte wollen die Forschenden ihren Prototyp so anpassen, dass er auch für Hörgeräte eingesetzt werden kann. Dafür muss die KI vor allem schneller werden, weil Hörgeräte eine geringere Latenzzeit erfordern, wie Gollakota und seine Kollegen erklären. Auch eine Miniaturisierung für In-Ear-Kopfhörer ist in Arbeit. (Nature Electronics, 2024; doi: 10.1038/s41928-024-01276-z)
Quelle: University of Washington