Astronomie/Kosmologie

Ein Schritt vor und zwei zurück

Wer ist der Urheber der Radiopulse?

Inzwischen haben Radioastronomen schon mehr als 600 Fast Radiobursts eingefangen, darunter 24 „Serientäter“ – wiederholte Radioblitze aus einer Quelle. Doch fast jede Neuentdeckung wirft neue Fragen auf und erschüttert einige der zuvor bestehenden Annahmen.

CHIME-Teleskop
Das CHIME-Teleskop in Kanada fängt am 28. April 2020 den ersten Fast Radioburst aus unserer Milchstraße auf. © CHIME

Der erste Radioblitz aus unserer Milchstraße

Im Jahr 2020 machen Astronomen eine Entdeckung, die das Rätsel der kosmischen Radioblitze endlich zu lösen scheint. Ort des Geschehens ist das CHIME-Teleskop in Kanada – eine Anlage aus vier fußballfeldgroßen, gewölbten Reflektor-Ensembles, die den Himmel kontinuierlich im Frequenzbereich von 400 bis 800 Megahertz absuchen. Am 28. April 2020 detektieren die Sensoren einen Fast Radioburst, der etwas schwächer ist als die bisher bekannten, aber ansonsten alle klassischen Merkmale aufweist.

Das Besondere jedoch: Dieser Radioblitz ist nicht extragalaktisch – er stammt aus unserer eigenen Galaxie. Die Quelle des FRB 200428 getaufte Radiopulses liegt nur rund 30.000 Lichtjahre von uns entfernt nahe des Milchstraßenzentrums, wie das Team um Paul Scholz von der University of Toronto feststellt. Damit ist dies der erste Fast Radioburst, dessen Ursprung quasi vor unserer galaktischen Haustür liegt – eine echte Sensation.

Der Radioblitz aus unserer Heimatgalaxie lässt sich zu einem Magnetar zurückverfolgen – einem rotierenden Neutronenstern mit starkem Magnetfeld. © McGill University

Es ist ein Magnetar!

Noch wichtiger aber ist, dass die Astronomen diesen galaktischen Radioblitz erstmals zu einer bekannten Quelle zurückverfolgen können: Der Radiopuls geht von einem schnell rotierenden stark magnetischen Neutronenstern aus – dem Magnetar SGR 1935+2154. Dieser ist schon zuvor durch starke Strahlenpulse im Röntgenbereich aufgefallen. Mit seinem Radioblitz demonstriert dieser Neutronenstern nun, dass ein Magnetar auch Radiopulse in einer bisher für unmöglich gehaltenen Intensität erzeugen kann.

Mit einer Energie von 1034 erg ist dieser galaktische Fast Radioburst gut 3.000-mal stärker als jeder andere zuvor von einem Magnetar registrierte Radiopuls. „Dieses Ereignis belegt eindeutig, dass Magnetare weit stärkere Radiopulse produzieren können als bislang in unserer Galaxie beobachtet wurde“, konstatieren Scholz und seine Kollegen von der CHIME-Kollaboration.

Noch viel wichtiger jedoch: Der Fast Radioburst vom April 2020 zeigt zum ersten Mal, von welchen kosmischen Objekt diese Radioblitze erzeugt werden. Damit scheint die Frage nach dem Urheber dieses kosmischen Phänomens endlich geklärt. „Wenn dieser Radiopuls von irgendeinem anderen Objekt im Umfeld des Magnetars kommen sollte, wäre dies ein ziemlich großer Zufall“, sagen die Astronomen.

Nah am Stern oder nicht?

Allerdings: Wie der Neutronenstern einen dermaßen energiereichen Ausbruch verursachen kann, verrät FRB 200428 leider nicht. Wieder müssen die Radioastronomen spekulieren – und kommen auf zwei mögliche Erklärungen. Zum einen könnten die Radioausbrüche nahe der Magnetar-Oberfläche entstehen. „In diesen Modellen wird der Radioblitz durch Rekonnexion in der Magnetosphäre des Neutronensterns erzeugt“, erklärt FRB-Entdecker Duncan Lorimer. Dazu würden die ultrakurze Dauer und Doppelspitze von FRB 200428 passen.

Zum anderen könnte die Quelle der Radiostrahlung aber auch weiter entfernt vom Magnetar liegen und durch Synchrotronstrahlung entstehen. Sie wird frei, wenn schnelle Teilchenströme mit den Gasresten früherer Eruptionen kollidieren und dabei abrupt abgebremst werden. Die dabei entstehende stark magnetisierte Schockfront setzt dann Strahlenpulse in verschiedenen Wellenbereichen frei. Das würde die Röntgenpulse und den Radioblitz erklären.

Radioburst aus einem Kugelsternhaufen
Der sich wiederholende Radioburst FRB 20200120E stammt aus einem alten Kugelsternhaufen – und widerspricht damit allen bisherigen Annahmen zum Ursprung solcher Radioblitze. © Daniëlle Futselaar/ artsource.nl

Das Rätsel des Kugelsternhaufens

Noch während Radioastronomen weltweit über diese Fragen grübeln, kommt schon die nächste Entdeckung – und wirft alles wieder über den Haufen. Diesmal geht es um einen sich wiederholenden Fast Radioburst, FRB 20200120E. Um dessen Ursprung herauszufinden, hat ein Team um Franz Kirsten von der Chalmers-Universität in Schweden einen von Westeuropa bis China reichenden Radioteleskopverbund eingesetzt. Die Auswertungen dieser Daten ergeben, dass FRB 20200120E von der rund zwölf Millionen Lichtjahre entfernten Spiralgalaxie M81 ausgehen muss – die Quelle dieses extragalaktischen „Serientäters“ liegt damit vergleichsweise nah.

Das Überraschende jedoch: Die sich wiederholenden Radiopulse kommen nicht aus dem Zentrum dieser Galaxie oder einem anderen für Magnetare typischen Gebiet aktiver Sternbildung. Stattdessen liegt die Quelle in einem alten Kugelsternhaufen im Außenbereich von M81. „Kugelsternhaufen enthalten keine jungen Sterne und die dort in einer ersten Welle der Sternbildung entstandenen Magnetare müssten schon lange inaktiv sein“, erklärt FRB-Mitentdecker Matthew Bailes von der Swinbourne University in Australien.

Doch gängiger Theorie nach können Magnetare nur dann so enorm energiereiche Radiopulse erzeugen, wenn sie noch jung sind. Nur dann ist das Magnetfeld dieser rotierenden Neutronensterne noch stark genug und ihre Energie ausreichend hoch. Wie aber ist dann dieser Radioblitz aus dem alten, wenig aktiven Kugelsternhaufen zu erklären? Klar scheint: Ein junger, starker Magnetar wie der in unserer Milchstraße kann nicht der Urheber sein. Was aber ist es dann?

Regelmäßig und unregelmäßig zugleich

Dummerweise ist der Kugelsternhaufen-Radioblitz zudem nicht der einzige, der am klassischen Magnetar-Szenario kratzt. Schon 2018 haben Radioastronomen einen weiteren „Serientäter“ entdeckt, dessen Frequenzverteilung und Rhythmus nicht ins Bild passt. Zum einen reichen die Radiopulse von FRB 20180916B bis zu tiefen Radiofrequenzen von 110 Megahertz hinunter. Das ist die mit Abstand langwelligste bisher von einem Fast Radioburst eingefangene Strahlung – und schwer mit Ausbrüchen eines Magnetars zu vereinbaren.

Zum anderen aber zeigt FRB 20180916B eine merkwürdige Mischung aus regelmäßiger und unregelmäßiger Aktivität: Die Quelle sendet jeweils vier Tage lang starke Radiopulse aus, dann folgen zwölf Tage Pause – dieser 16-Tages-Takt wiederholt sich regelmäßig. Innerhalb der vier aktiven Tage geht es jedoch weniger geordnet zu. Zwar treffen die Radiopulse zwar im Schnitt alle 1,8 Stunden ein, ihre Häufigkeit und Abstände variieren jedoch. Auch das passt nicht zu den Ausbrüchen eines Magnetars, die entweder unregelmäßig oder aber im Takt seiner Rotation erfolgen müssten.

Springende Polarisation
FRB 20190520B erzeugt Radiopulse, deren Polarisation drastisch springt. © Di Li, ScienceApe/ Chinese Academy of Sciences

Springende Pulse

Als wäre das nicht genug, entdecken die Radioastronomen im Jahr 2023 einen weiteren Ausreißer unter den sich wiederholenden Fast Radiobursts. Auch dieser „Serientäter“ erzeugt durch Pausen getrennte Schübe vom Radioblitzen, parallel dazu sendet FRB 20190520B eine schwache aber konstante Radiostrahlung aus – schon das ist ungewöhnlich. Noch merkwürdiger jedoch: Die lineare Polarisation der Radiopulse bleibt nicht gleich, sondern macht von Schub zu Schub enorme Sprünge, wie ein Team um Reshma Anna-Thomas von der West Virginia University ermittelt. Mit einem Magnetar ist auch dies nur schwer zu erklären.

Liegen die Astronomen vielleicht doch falsch?

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Das Rätsel der kosmischen Radioblitze
Was steckt hinter den Fast Radiobursts?

Das erste Signal
"The Dish" und der erste Fast Radioburst

Kein Einzelfall mehr
Fahndung nach der Quelle der Fast Radiobursts

Lauter Widersprüche
Nachglühen, Serientäter und torpedierte Modelle

Ein Schritt vor und zwei zurück
Wer ist der Urheber der Radiopulse?

Das Rätsel bleibt – vorerst
Liefert die nahe Zukunft eine Antwort?

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