Verhaltensforschung

Ein Raubtier als Bestäuber?

Biologen beobachten Äthiopische Wölfe erstmals beim Fressen von süßem Nektar

Wolf leckt an Blüte
Äthiopische Wölfe sind als erste große Raubtierart beim Konsum von Nektar beobachtet worden. © Adrien Lesaffre

Ungewöhnlicher Blütenbesuch: Biologen haben Äthiopische Wölfe erstmals dabei beobachtet, wie sie süßen Nektar aus den Blüten von Fackellilien schlecken. Sie sind damit die erste große Raubtierart, von der ein solches Verhalten bekannt ist. Da beim Nektarfressen auch Pollen an den Schnauzen der sonst fleischfressenden Wölfe hängenbleibt, könnten sie sogar als Bestäuber für die Lilien fungieren, wie das Forschungsteam vermutet.

Bis zu 87 Prozent aller blühenden Pflanzen sind für ihre Fortpflanzung auf tierische Bestäuber wie Bienen, Schmetterlinge und Vögel angewiesen. Sie tragen den Pollen, der beim Konsum des Blütennektars an ihnen hängenbleibt, von Pflanze zu Pflanze. Auch einige wenige Säugetiere wie Fledermäuse und Nagetiere können als Bestäuber fungieren.

Wölfe als Naschkatzen

Wie sich jetzt zeigt, sind aber selbst große Fleischfresser dem süßen Blütennektar nicht abgeneigt. In Äthiopien haben Biologen um Sandra Lai von der University of Oxford erstmals beobachtet, wie Äthiopische Wölfe (Canis simensis) den Nektar von Fackellilien (Kniphofia foliosa) ablecken. Die stark bedrohten Tiere sind damit die ersten großen Raubtiere, bei denen jemals ein solches Verhalten beobachtet wurde. Da die Wölfe während der Blütezeit immer wieder zu den Fackellilien zurückkehrten, konnten die Biologen diese Ernährungsweise sogar systematisch erfassen:

„In der Regel näherte sich der Wolf einem Stängel und leckte an den reifsten Blüten, die sich am unteren Ende des Blütenstandes befanden und den meisten Nektar enthielten“, berichten Lai und ihre Kollegen. „Die Gesamtzeit, die ein Wolf in einem Lilien-Blütenfeld verbrachte, schwankte zwischen einer Minute und anderthalb Stunden, wobei die Zeit, die er kumulativ mit dem Fressen von Blütenständen verbrachte, zwischen drei Sekunden und 4,5 Minuten lag.“

Naschen ist Familiensache

Äthiopische Wölfe sind eigentlich auf die Jagd von Nagetieren spezialisiert. Die Forschenden gehen daher davon aus, dass der Nektar lediglich eine Nahrungsergänzung für die zwölf bis 16 Kilogramm schweren Räuber darstellt und nicht wesentlich zu ihrem Energiehaushalt beiträgt. In anderen Worten: Die Wölfe mögen es genau wie wir Menschen einfach auch mal süß.

Der Hang zur Nascherei scheint dabei von Generation zu Generation weitergegeben zu werden. Wie Lai und ihr Team beobachtet haben, brachten einige erwachsene Wölfe ihre Jungen mit zu den Blumenfeldern. Die dessertsuchenden Besucher stammten außerdem meist aus verschiedenen Rudeln. Insgesamt leben im äthiopischen Hochland nur noch 99 Rudel mit insgesamt rund 500 Tieren. Das macht den Äthiopischen Wolf zum am stärksten bedrohten Raubtier Afrikas.

Wolf mit Pollen an der Schnauze
Nachdem die Wölfe sich am Nektar bedient hatten, war ihre Schnauze bedeckt von gelbem Pollen. © Adrien Lesaffre

Ein ungewöhnlicher Bestäuber

Für die Lilien könnte aber selbst diese kleine Restpopulation der Süßes liebenden Wölfe äußerst nützlich sein – und zwar für ihre Fortpflanzung. Denn wie die Forschenden beobachteten, blieben nach dem Nektarfressen häufig große Mengen gelblichen Pollens an den Schnauzen der Wölfe hängen, die sie dann von Lilie zu Lilie trugen. Da manche Tiere während eines einzigen Besuchs im Blumenfeld bis zu 30 unterschiedliche Fackellilien besuchten, könnten sie somit unwissentlich als Bestäuber fungieren.

Falls das tatsächlich so sein sollte, arbeiten die Äthiopischen Räuber bei der Bestäubung aber mit anderen Tieren zusammen: „Die lokale Verbreitung von Pollen durch Wölfe kann dazu beitragen, die Gene innerhalb einer Population zu bewahren, während die weiter reichende Verbreitung durch Fluginsekten und Vögel den Pollen effektiver zwischen verschiedenen Populationen verteilen kann und somit als Mechanismus für den Genfluss dient“, erklären Lai und ihre Kollegen. (Ecology, 2024; doi: 10.1002/ecy.4470

Quelle: University of Oxford

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