Evolution

Zuwachs für die Gattung Homo?

Asiatische Frühmenschen-Fossilien provozieren Neuordnung des Menschenstammbaums

Fossilien aus Xujiayao
Dieser Schädel, Zähne und Kieferstück eines in China entdeckten, rund 200.000 Jahre alten Frühmenschen haben zu einer Neusortierung des Menschenstammbaums und einer neuen Art geführt. © Wu und Bae/ PaleoAnthropology 2024, CC-by-nc 4.0

Neue Menschenart: In Asien gefundene Fossilen werfen den Menschen-Stammbaum durcheinander. Denn diese Frühmenschen passen zu keiner bekannten Art. Deshalb haben Paläoanthropologen die asiatischen Vertreter der Gattung Homo nun neu geordnet und eine neue Spezies ergänzt: Homo juluensis – der „Großschädelige“ – umfasst mehrere Frühmenschen-Fossilien aus der Zeit vor 300.000 bis 50.000 Jahren. Auch bekannte Formen wie den Denisova-Menschen ordnen sie dieser neuen Spezies zu.

Die Anfänge unserer menschlichen Gattung sind alles andere als geradlinig. Schon in Afrika, in der Wiege der Menschheit, entwickelten sich vor rund zwei Millionen Jahren gleich mehrere Frühmenschenarten parallel, darunter Homo rudolfensis, Homo ergaster, Homo naledi und Homo erectus. Letzterer gilt als die erste Frühmenschenart, die Afrika verließ und sich über Eurasien ausbreitete. Zusätzlich gibt es jedoch weitere Fossilien, deren Zuordnung ungeklärt ist, weil ihre Merkmale in keine der etablierten Arten passen.

Frühmenschenfossilien aus Asien
Beispiele für in Asien gefundene Frühmenschenfossilien unklarer Zuordnung.© Wu und Bae/ PaleoAnthropology 2024, CC-by-nc 4.0

Lücken und Ungereimtheiten

Dies gilt besonders für Frühmenschenfunde in Asien. Im Laufe der letzten Jahre haben Paläoanthropologen dort immer wieder Fossilien entdeckt, die nicht zum Homo erectus passen, aber derer Merkmale zu archaisch für den Homo sapiens sind. „Es ist inzwischen offensichtlich, dass die morphologische Vielfalt unter den spätpleistozänen Homininen-Fossilien aus dem östlichen Asien größer ist, als wir erwartet haben“, konstatieren Christopher Bae von der University of Hawaii und Xiujie Wu von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften.

Für einige dieser asiatischen Frühmenschen wurden inzwischen eine eigene Spezies geschaffen, darunter der zwergenhafte „Hobbitmensch“ Homo floresiensis von der Insel Flores, der auf den Philippinen entdeckte Frühmensch Homo luzonensis und der Frühmensch Homo longi aus Harbin in China. Doch andere Funde wurden bisher nur der Gattung Homo zugeordnet, nicht aber einer Art – dies gilt auch für den noch immer rätselhaften Denisova-Menschen.

„Die Fossilfunde und unser Wissen über die Menschheitsentwicklung in Asien hinkt den Erkenntnissen aus Europa und Afrika deutlich hinterher“, sagen Bae und Wu. „Aber jüngste Forschungen zeigen klar, dass es im späten Quartär Asiens zahlreiche Homininen-Stammeslinien n Asien gab.“

Neue Spezies mit großem Schädel

Jetzt bringt ein weiterer asiatischer Frühmensch Bewegung in die verworrene Lage. Dabei handelt es sich um 200.000 bis 130.000 Jahre alte Fossilien einer unbekannten Menschenart, die im nordchinesischen Xujiayao entdeckt wurden. „Was bei den Xujiayao-Homininen besonders heraussticht, ist ihr sehr großer Schädel, außerdem einige für ihr Alter erstaunlich primitive Merkmale der Zähne und des Schädels sowie Neandertalermerkmale“, berichtet Bae. Andere Eigenheiten dieser Frühmenschen finden sich bei keiner anderen archaischen oder modernen Menschenart.

Ausgehend von diesen Funden haben Bae und seine Kollegen alle Frühmenschenfossilien Asiens noch einmal vergleichend analysiert – und krempeln nun den bisherigen Stammbaum gründlich um. Ihren Analysen zufolge gehören einige bisher nicht zugeordnete Frühmenschen zusammen mit den Xujiayao-Fossilien in eine eigene, neu zu schaffende Art. „Diese Fossilien repräsentieren eine neue Form von großhirnigen Homininen, die im späten Quartär in weiten Teilen Ostasiens verbreitet waren“, erklärt Bae. Bae und Wu tauften diese neue Menschenart Homo juluensis, nach dem chinesischen Begriff für „großer Schädel“.

Neugruppierung von Frühmenschen
Neugruppierung von Frühmenschenfossilien aus Asien und zeitliche Einordnung. © Bae und Wu/ Nature Communications, CC-by-nc-nd 4.0

Gehören auch die Denisova-Menschen zum Homo juluensis?

Zu der neuen Frühmenschenart Homo juluensis gehören laut Bae und Wu neben dem Xujiayao-Frühmenschen auch die 2017 im chinesischen Xushan entdeckten Schädel eines nicht zugeordneten Frühmenschen und das 2015 in Taiwan entdeckte Unterkiefer-Fragment von Penghu. „Wichtig ist auch, dass wir den rätselhaften Denisova-Menschen aufgrund der Zahn- und Kiefermerkmale dem Homo juluensis zuordnen“, schreiben die Paläoanthropologen.

Damit umfasst der neue Stammbaum der Gattung Homo in Asien nun sieben Arten. Neben dem Homo erectus, dem Neandertaler und dem Homo sapiens gab es demnach in der Zeit vor 300.000 bis 50.000 Jahren dort vier weitere Homo-Spezies: den Homo floresiensis, den homo luzonensis, den Homo longi und die neue Spezies Homo juluensis, die auch die Denisova-Menschen beinhaltet.

„Eine gute Idee“

„Diese Neuordnung ist wichtig, weil sie uns und anderen Forschenden hilft, die komplexe Geschichte der menschlichen Entwicklung in Asien besser zu verstehen“, sagt Bae. „Sie schließt einige Lücken in unserem Verständnis unserer frühen Verwandten.“ Allerdings: Noch ist diese Neuordnung der asiatischen Stammbaumzweige nicht offiziell anerkannt – es handelt sich vorerst um einen Vorschlag.

Aber auch andere Paläanthropologen halten eine neue Einteilung für sinnvoll. So kommentiert beispielsweise John Hawks, Mitentdecker des Homo naledi und Forscher an der University of Wisconsin-Madison: „Meiner Meinung nach ist es eine gute Idee, die möglichen Gruppierungen und Unterschiede innerhalb der asiatischen Fossilfunde genauer zu untersuchen. Denn es ist ein kompliziertes Bild mit vielen Gruppen, die sich zu verschiedenen Zeiten und an verschieden Orten vermischt haben.“ (Nature Communications, 2024; doi: 10.1038/s41467-024-53918-7; PaleoAnthropology, 2024 (PDF))

Quelle: Nature Communications, University of Hawaii

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