Spektakulärer Fund: Archäologen haben das älteste christliche Zeugnis nördlich der Alpen entdeckt – verborgen in einem Silberamulett aus einem römischen Grab bei Frankfurt. Das fast 1.800 Jahre alte Amulett enthielt einen in Silberfolie gravierten christlichen Text, wie nun Röntgenanalysen enthüllt haben. Er ist das früheste Zeugnis des nordalpinen Christentums und enthält auch darüber hinaus einige historisch und theologisch bedeutsame Inhalte, wie das Team berichtet.
Das Christentum hat seinen Ursprung im Mittelmeerraum – wie nicht zuletzt die Weihnachtsgeschichte belegt. Von der Levante aus breitete sich die neue Religion dann allmählich über weite Teile des Römischen Reiches aus. Unklar ist jedoch bisher, wann das Christentum auch die gallischen und germanischen Gebiete jenseits der Alpen erreichte. Historische Überlieferungen deuten zwar auf erste christliche Gruppen in Gallien und vielleicht auch in der Provinz Obergermanien schon im späten 2. Jahrhundert hin. Doch entsprechende archäologische Funde fehlten bisher.
In antikem Silberamulett verborgen
Jetzt haben Archäologen ein solches Zeugnis frühen Christentums entdeckt. Es handelt sich um eine in dünne Silberfolie eingravierte Inschrift, die im Inneren eines antiken Silberamuletts verborgen war. Das Amulett war bereits 2018 bei Ausgrabungen in einem römischen Gräberfeld in Frankfurt-Praunheim entdeckt worden. Das kleine Schmuckstück lag im Grab eines Mannes, der das Amulett wohl einst an einem Band um den Hals trug, wie das Team der Stadt Frankfurt und des Leibniz-Zentrums für Archäologie in Mainz (LEIZA) in Mainz berichtet.
Schon während der Ausgrabung war erkennbar, dass das Silberamulett eine dünne, zusammengerollte Silberfolie enthielt. Erste mikroskopische Untersuchungen und Röntgenaufnahmen zeigten dann, dass auf dieser Folie eine Inschrift eingeritzt war. Demnach handelte es bei dem Silberamulett höchstwahrscheinlich um ein sogenanntes Phylakterium – einen am Körper getragenen Behälter, der magischen Inhalt oder christliche Reliquien barg und seinen Träger schützen sollte.
Virtuell entrollt und dann entziffert
Doch was stand auf der Silberfolie? Weil die hauchdünne Metallfolie zu spröde und brüchig war, um sie zu entrollen, blieb dies zunächst offen. Erst im Mai 2024 gelang es einem Team um Ivan Calandra vom LEIZA, das Fundstück virtuell zu entrollen. „Die Herausforderung bestand darin, dass das Silberblech zwar gerollt, aber nach rund 1.800 Jahren natürlich auch zerknickt und gepresst war“, erklärt Calandra. „Mittels Computertomografie konnten wir es aber in einer sehr hohen Auflösung scannen und ein 3D-Modell erstellen.“
Im nächsten Schritt nutzten die Forschenden eine für dieses Objekt speziell entwickelte computergestützte Analysemethode, mit deren Hilfe sie einzelne Segmente der Scans virtuell Stück für Stück zusammensetzen konnten. Anschließend nutzte Markus Scholz von der Frankfurter Goethe-Universität die virtuell entrollte Inschrift, um den 18 Zeilen langen lateinischen Text zu entziffern. „Das ist ungewöhnlich für diese Zeit. Normalerweise waren solche Inschriften in Amuletten auf Griechisch oder Hebräisch verfasst“, erklärt der Experte für lateinische Inschriften.
Ältestes christliches Zeugnis nördlich der Alpen
Die Entzifferung der „Frankfurter Silberinschrift“ enthüllte Spektakuläres: Bei dem Text aus der Zeit um 230 bis 270 nach Christus handelte es sich um eine christliche Schutz- und Bekenntnis-Inschrift – eine für die damalige Zeit einzigartiger Fund. Diese 18 Zeilen stellen damit das älteste christliche Zeugnis nördlich der Alpen dar. Sie sind fast 200 Jahre älter als die bisher ältesten gesicherten Nachweise für christliches Leben in den nordalpinen Gebieten des Römischen Reiches, wie das LEIZA berichtet.
„Die ,Frankfurter Inschrift‘ ist eine wissenschaftliche Sensation. Durch sie wird man die Geschichte des Christentums in Frankfurt und weit darüber hinaus um rund 50 bis 100 Jahre zurückdrehen müssen“, kommentierte der Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef den Fund. Erste Analysen des Textinhalts zeigen zudem, dass auch einige Inhalte, wie die Erwähnung des heiligen Titus oder die Anrufung „Heilig, heilig, heilig!“ die frühesten ihrer Art sind.
Nach Einschätzung der Forschenden ist die Frankfurter Silberinschrift damit schon jetzt eines der bedeutendsten Zeugnisse des frühen Christentums weltweit. Ihre Entdeckung eröffnet neue Anknüpfungspunkte für die Archäologie, die historischen Wissenschaften und die Theologie.
Auch weltweit einzigartig
Ob der Tote aus dem Römergrab jedoch seinen Glauben zu Lebzeiten bekennen und praktizieren konnte, ist angesichts seiner noch größtenteils heidnischen Umgebung noch ungeklärt. Umso ungewöhnlicher ist der rein christliche Bezug der Silberinschrift, wie Scholz und seine Kollegen erklären. Denn bis ins 5. Jahrhundert mischten sich in solchen Amuletten normalerweise Einflüsse verschiedener Religionen, darunter jüdische und heidnische Bezüge. Doch die Silberinschrift aus dem römischen Frankfurt ist rein christlich.
Die Übersetzung lautet nach derzeitigem Stand:
(Im Namen?) des Heiligen Titus.
Heilig, heilig, heilig!
Im Namen Jesus Christi, Gottes Sohn!
Der Herr der Welt
widersetzt sich nach [Kräften?]
allen Anfällen(?)/Rückschlägen(?).
Der Gott(?) gewährt dem Wohlbefinden
Eintritt.
Dieses Rettungsmittel(?) schütze
den Menschen, der sich
hingibt dem Willen
des Herrn Jesus Christus, Gottes Sohn,
da sich ja vor Jesus Christus
alle Knie beugen: die Himmlischen,
die Irdischen und
die Unterirdischen, und jede Zunge
bekenne sich (zu Jesus Christus).
Quelle: Stadt Frankfurt, Leibniz-Institut für Archäologie in Mainz (LEIZA)