Sonnensystem

Machte ein „Kuss“ Pluto und Charon zum Paar?

Die Kollision der beiden verlief womöglich weniger zerstörerisch als gedacht

Pluto und Charon
Wie haben Pluto und sein größter Mond Charon (oben links) einst zusammengefunden? © NASA/Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory/Southwest Research Institute

Crash oder Kuss? Pluto und sein halb so großer Mond Charon sind womöglich doch nicht durch eine katastrophale Kollision, sondern deutlich „sanfter“ zusammengekommen, wie Astronomen nun ermittelt haben. In Modellen erwies sich ein sogenanntes „Kiss-and-capture“-Szenario als plausibel, bei dem zwei Himmelskörper zwar kollidieren, aber trotzdem weitgehend intakt bleiben. Ein solches Szenario könnte auch einige geologische Besonderheiten von Pluto und seinem größten Mond erklären.

Pluto und sein größter Mond Charon gehören zu den ungewöhnlichsten Paaren unseres Sonnensystems. Mit einem Durchmesser von 2.370 Kilometern ist der Zwergplanet gerade einmal doppelt so groß wie sein Begleiter. Aufgrund dieses geringen Größenunterschiedes umkreist Charon seinen Planeten auch nicht so wie unser Mond die Erde. Weil die Dominanzverhältnisse zwischen beiden deutlich schwächer ausgeprägt sind, umkreisen sich Charon und Pluto vielmehr gegenseitig und kehren einander dabei immer dieselbe Seite zu.

Wie kam das Paar zusammen?

Doch wie ist das ungewöhnliche Paar einst entstanden? Die geringen Größenunterschiede und die Art ihrer Umlaufbahnen deuten darauf hin, dass Charon und Pluto einst aus einer apokalyptischen Kollision hervorgegangen sind – ähnlich wie die Erde und ihr Mond. Doch die Entstehung eines Himmelskörpers von der Größe Charons mit einer weiten kreisförmigen Umlaufbahn lässt sich mathematisch nur schwer mit einem solchen Szenario erklären.

Daher ist in jüngster Zeit die Idee aufgekommen, dass Charon bei einer deutlich weniger katastrophalen Begegnung mit Pluto lediglich „leicht“ mit dem Zwergplaneten kollidiert sein könnte und dann von dessen Anziehungskraft eingefangen wurde. Beide Himmelskörper wären dabei weitgehend unversehrt geblieben. Doch wie plausibel dieses Szenario wirklich ist, war lange unklar.

Spurensuche in der Vergangenheit

Forschende um Adeene Denton von der University of Arizona haben daher nun im Rahmen einer Modellierungsstudie geprüft, ob Pluto und Charon tatsächlich „sanft“ kollidiert sein könnten. Dafür verwendeten sie Modelle, in denen die Materialeigenschaften beider Himmelsobjekte berücksichtigt wurden.

Für ihre Berechnungen nahmen Denton und ihr Team zunächst an, dass der Proto-Charon etwa ein Drittel der Gesamtmasse der Kollision ausmachte und mehr als doppelt so schwer war wie der heutige Charon. Außerdem gingen sie in der Simulation davon aus, dass Charon und Pluto zum Zeitpunkt des Einfangens bereits vollständig zu planetenähnlichen Himmelskörpern differenziert waren und zu 85 Prozent aus Gestein sowie zu 15 Prozent aus Eis bestanden, wobei der Wassereismantel den felsigen Kern überlagerte.

Hinweise auf Kuss statt Crash

Das Ergebnis: Als Pluto und Charon vor langer Zeit aufeinandertrafen, könnten die beiden tatsächlich sanft zusammengestoßen und dabei weitgehend intakt geblieben sein. Ein solches Kollisionsszenario nennen die Astronomen „kiss-and-capture“ („küssen und einfangen“). „Die beiden Körper kollidieren kurz, bevor sie sich tiefer koppeln und für einige Stunden gemeinsam rotieren. Dann entkoppeln sie sich und bilden ein stabiles, sich nach außen ausdehnendes Paar“, erklären Denton und ihre Kollegen.

„Die Entkopplung erfolgt aufgrund der Rotation des Ziels: Der Massenschwerpunkt von Charon liegt während des ‚Kusses‘ außerhalb des Ko-Rotationsradius von Pluto. Er hinkt der etwas schnelleren Rotation des Ziels hinterher, die durch Abführung von Gezeitenkräften Drehmomente auf Charon überträgt, so dass dieser auf eine relativ kreisförmige Umlaufbahn ausweicht“, so das Team weiter.

Insgesamt erhielten die Forschenden in 13 von 18 getesteten Fällen ein „Kiss-and-capture“-Szenario. Die Fluchtgeschwindigkeit lag dabei jeweils zwischen einem und 1,3 Kilometern pro Stunde und der Aufprallwinkel bei 40 bis 60 Grad. Wie die Begegnung beider Himmelskörper endete, hing vor allem davon ab, ob sich der Proto-Pluto innerhalb von drei Stunden einmal um die eigene Achse drehen konnte oder langsamer rotierte.

Ein folgenreicher Kuss?

Sollten Pluto und Charon einst tatsächlich nach einem „Kuss“ zusammengefunden haben, hätte das verschiedene Auswirkungen auf die geologische Entwicklung beider Himmelskörper gehabt. Demnach wären Charon und Pluto beispielsweise gleich alt. Auch wären durch eine „Kiss-and-capture“-Kollision tiefer gelegene Materialschichten wieder an die Oberfläche gelangt, wie Denton und ihr Team erklären. Das wiederum hätte die Grundlage für verschiedene geologische Merkmale geschaffen, die sich heute beobachten lassen, – darunter Charons ausgedehntes Netzwerk aus Schluchten.

Darüber hinaus hätte die Kollision zu einer potenziell langlebigen Erwärmung beider Himmelskörper geführt. Dabei hätte der Eismantel von Pluto und Charon sogar so weit schmelzen können, dass ein Oberflächenozean entstanden wäre, der ohnehin in ihrer geologischer Vergangenheit vermutet wird. Und noch etwas stützt die Theorie eines „Kiss-and-capture“-Szenarios: die restlichen vier Plutomonde Styx, Nix, Kerberos und Hydra. Diese hätten sich aus den bei der Kollision entstanden Trümmerteilen bilden können, wie die Forschenden berichten.

Doch noch sind die Ursprünge des Pluto-Charon-Duos nicht final belegt, womit sich einst auch ein völlig anderes Szenario als „kiss-and-capture“ ereignet haben könnte. (Nature Geoscience, 2025; doi: 10.1038/s41561-024-01612-0)

Quelle: Nature Geoscience

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