Archäologie

Rätsel um den Schädel von Ephesos

Schädel aus dem Mausoleum der antiken Stadt stammt doch nicht von Kleopatras Halbschwester

Schädel aus Ephesus
Von wem stammt dieser antike Schädel aus dem Oktogon von Ephesos? Bisher galt er als Schädel von Kleopatras Halbschwester Arsinoë IV., doch das ist nun widerlegt. © derknopfdruecker

Antike Überraschung: Seit fast 100 Jahren gilt ein Schädel aus dem antiken Ephesos als mögliches Relikt von Kleopatras Halbschwester Arsinoë IV. Doch jetzt enthüllen neue Analysen: Der rund 2.100 Jahre alte Schädel stammt nicht von einer hochrangigen Ägypterin, sondern von einem halbwüchsigen Jungen aus dem römischen Italien. Wer dieser Junge war und warum er im prachtvollen „Oktogon“ von Ephesos bestattet wurde, ist jedoch ungeklärt – ebenso wie der Verbleib von Kleopatras Schwester.

Die zur Dynastie der makedonischen Ptolemäer gehörende Königin Kleopatra VII. war die letzte Pharaonin Ägyptens und eine der berühmtesten Personen der antiken Geschichte. Bis heute gibt Kleopatra aber auch einige Rätsel auf. So ist ihr wahres Aussehen strittig und auch ihr Grab suchen Archäologen seit Jahrhunderten vergebens.

Oktogon von Ephesus
Ruinen des Oktogons von Ephesos und eine virtuelle Rekonstruktion des antiken Mausoleums. © Austrian Academy of Sciences/Austrian Archaeological Institute

Kleopatras Gegenkönigin und ein Schädelfund

Fast ebenso tragisch und geheimnisumwittert ist das Schicksal von Arsinoë IV., der jüngeren Halbschwester Kleopatras. Sie spielte als „Gegenkönigin“ ab 48 v. Chr. eine prominente Rolle und führte eine ägyptische Armee im Kampf gegen die römische Besatzung Ägyptens und Kleopatra an. Doch Arsinoës Truppen unterlagen der römischen Übermacht und Arsinoë wurde gefangen und ins Exil nach Ephesos in Kleinasien geschickt. Dort ließ Marcus Antonius – Cäsars Nachfolger – sie 41 v. Chr. hinrichten.

An diesem Punkt kommt nun das „Oktogon von Ephesos“ ins Spiel. Dieses achteckige Mausoleum stand einst an der Hauptstraße der antiken Stadt, was nahelegt, dass es für eine(n) hochrangige(n) Tote(n) gedacht war. 1929 entdeckte ein Team um den österreichischen Archäologen Josef Keil in diesem Oktogon einen Steinsarkophag mit einem Skelett darin. Den Schädel nahm Keil mit und kam nach ersten Analysen zu dem Schluss, dass dieser von einer sozial hochgestellten Frau um die 20 stammen müsse.

Schädel beim Mikro-CT
Scan des Schädels mittels Mikro-Tomografie. © Gerhard Weber/ Universität Wien

Ist es Arsinoë?

Doch wer war diese Frau aus dem „Heroengrab von Ephesos“? Lange blieb dies ungeklärt. In den 1980er Jahren sorgte dann eine spannende These für Aufsehen. Demnach könnten Schädel und Skelett von Kleopatras Halbschwester Arsinoë stammen. Dazu würde passen, dass diese in Ephesos gestorben war und dass das Oktogon im ptolemäisch-ägyptischen Stil errichtet wurde. Hatte demnach die berühmte „Gegenkönigin“ Kleopatras ihre letzte Ruhe im Heroengrab von Ephesos gefunden?

Um das zu überprüfen, hat ein Team um Gerhard Weber von der Universität Wien den Schädel aus Ephesos sowie einige später wiedergefundenen Teile des Skeletts aus dem Oktogon einer ganzen Reihe von Untersuchungen unterzogen – von Radiokarbondatierungen über die Mikro-Tomografie und weitere morphologische und chemische Untersuchungen bis hin zu DNA-Analysen.

Halbwüchsiger Junge statt ägyptischer Königstochter

Das Ergebnis: Der Schädel und die Skelettteile aus Ephesus stammen tatsächlich aus der Zeit von Kleopatra und Arsinoë. Den Datierungen zufolge sind sie zwischen 2.050 und 2.230 Jahre alt. Die Genanalysen bestätigten zudem, dass der 1929 nach Österreich gebrachte Schädel und die erst Jahrzehnte später wiederentdeckten Skelettknochen vom selben Individuum stammen – den Gebeinen aus dem Steinsarkophag im Oktogon von Ephesos.

Das Überraschende jedoch: Bei der antiken Toten handelt es sich nicht um eine Frau, wie jahrzehntelang vermutet. „Schädel und Oberschenkelknochen zeigten beide ganz eindeutig das Vorliegen eines Y-Chromosoms – also eines Mannes“, berichtet Weber. Analysen der Schädelnähte und Zahnwurzeln ergaben zudem, dass der Tote ein elf- bis 14-jähriger Junge war – ein Teenager.

Damit ist klar: Kleopatras Halbschwester Arsinoë wurde nicht im Oktogon von Ephesos bestattet – ihre sterblichen Überreste fehlen noch immer. Wo die ägyptische Gegenkönigin damals ihre letzte Ruhestätte fand und ob ihr Grab erhalten geblieben ist, bleibt weiterhin ungeklärt. „Die Suche nach ihren Überresten muss daher weitergehen“, konstatieren Weber und seine Kollegen. „Auch die gängige Annahme, dass das Oktogon zu Ehren von Arsinoë IV. gebaut wurde, ist nicht länger haltbar.“

Deformationen
Deformationen an der Schädelbasis: Links fehlt eine Knochennaht, rechts ist sie anomal vergrößert.© Weber et al./ Scientific Reports,CC-by-nc-nd 4.0

Römischer Teenager mit Knochenfehlbildungen

Doch wer war der tote Junge? Und warum wurde ausgerechnet er im prunkvollen Mausoleum von Ephesos bestattet? Wie die DNA-Analysen ergaben, war der jugendliche Tote kein Ägypter, sondern zeigt genetische Übereinstimmungen mit den antiken Bewohnern Italiens und Sardiniens. „Er könnte demnach Teil der römischen Bevölkerung von Ephesos gewesen sein“, berichten die Forschenden. Ob der Junge jedoch in Ephesos geboren wurde oder von auswärts stammte, müssen künftige Isotopenanalysen klären.

Die Anatomie des Schädels liefert einen weiteren Hinweis auf die Merkmale des antiken Teenagers: Einige seiner Schädelnähte sind krankhaft früh zugewachsen, so dass sich der Schädel schief entwickelt hat. Dadurch sind Kopf und Kiefer des Jungen stark asymmetrisch. Sein Oberkiefer ist zudem unterentwickelt und ungewöhnlich stark nach unten abgewinkelt, was zu Problemen beim Kauen geführt haben muss, wie Weber und sein Team erklären.

Was diese Wachstumsstörungen des römischen Jungen verursacht hat, ist allerdings noch ungeklärt. Nach Ansicht der Forschenden käme als Ursache ein Vitamin-D Mangel in der Kindheit in Frage, aber auch eine genetisch bedingte Fehlbildung wie das Treacher-Collins-Syndrom. Dieses dominant vererbte Syndrom erzeugt ebenfalls Deformationen von Schädel und Gesichtsknochen.

Die Suche geht weiter

Die neuen Analysen haben damit zwar einige Rätsel rund um den Schädel aus Ephesos beantwortet, dafür aber neue Fragen aufgeworfen. Denn sowohl der Verbleib von Arsinoë IV. als auch die Identität des Jungen sind noch offen. „Warum dieser an signifikanten Wachstumsstörungen leidende Junge damals in einem so prominenten Gebäude im Stadtzentrum von Ephesos bestattet wurde, bleibt vorerst ungeklärt“, schreiben Weber und sein Team.

Klar ist aber, dass das Mausoleum für eine Person von sehr hohem sozialen Status vorgesehen war. Es ist demnach denkbar, dass der römische Teenager einen hohen gesellschaftlichen Rang bekleidete. Aber welchen und wer er war, ist ein Rätsel. (Scientific Reports, 2025; doi: 10.1038/s41598-024-83870-x)

Quelle: Universität Wien

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