Archäologie

„Frauenpower“ im Keltenreich

DNA-Analysen belegen matrilineare Struktur keltischer Gemeinschaften in Großbritannien

Boudicca
Die Keltenkönigin Boudicca lehrte selbst die Römer das Fürchten – aber war sie nur ein Einzelfall? © Rixipix/ iStock

Kein bloßer Mythos: Bei den Kelten Großbritanniens hatten die Frauen das Sagen – zumindest wenn es um die Vererbung von Landbesitz, das Heiraten und den Wohnort ging. Denn anders als die meisten anderen Kulturen ihrer Zeit waren die Kelten matrilinear, wie nun DNA-Analysen eisenzeitlicher Gräber in England bestätigen. Besitz und Stellung in der Gemeinschaft wurde demnach über die weibliche Linie weitergegeben. Das bestätigt auch römische Berichte aus dieser Zeit.

Die Kelten waren während der Eisenzeit über ganz Europa verbreitet. Doch weil diese übersetzt als „die Tapferen“ bekannten Volksgruppen keine Schrift hatten, ist das Wissen über ihre Lebensweise lückenhaft. Das betrifft auch die Struktur der keltischen Gesellschaften und im Speziellen die Stellung der Frau.

keltische Frau
Wie mächtig waren keltische Frauen im eisenzeitlichen Britannien?© DianaHirsch

Wie mächtig waren die Keltenfrauen?

Kostbare Grabbeigaben und Gräber von Kriegerinnen und Druidinnen legen nahe, dass zumindest einige Keltenfrauen einen hohen Rang einnahmen. Das demonstrieren auch berühmte Keltenköniginnen wie Boudicca und Cartimundia, deren politisches und kriegerisches Geschick selbst bei den Römern gefürchtet waren. Julius Cäsar berichtete zudem, dass keltische Frauen mehrere Männer haben konnten. „Römische Autoren fanden die relative Macht der keltischen Frauen bemerkenswert“, berichten Lara Cassidy vom Trinity College Dublin und ihre Kollegen.

Kein Wunder: In der Zeit der Kelten waren die meisten anderen europäischen Kulturen zutiefst patriarchal, patrilinear und patrilokal – Macht und Besitz waren in der Hand der Männer, wurden über die männliche Linie vererbt und fürs Heiraten wechselten in der Regel die Frauen an den Wohnort des Mannes und seiner Familie. Aber war dies auch bei den Kelten der Fall? Bisher ist dies strittig – auch aus Mangel an archäologischen Belegen vor allem aus dem keltischen Britannien.

Doch jetzt schaffen DNA-Analysen aus England mehr Klarheit. Für ihre Studie hatten Cassidy und ihr Team zunächst das Erbgut von 57 Toten untersucht, die in einer Siedlung des keltischen Stammes der Durotriges in Südengland bestattet worden waren. Diese Gräber stammen aus der Zeit von 100 vor bis 100 nach Christus.

Keltengrab
Grab, Gebeine und Grabbeigaben einer Frau des keltischen Durotriges-Stammes in Dorset. © Bournemouth University

Mütterliche Linie dominiert

Die Analysen enthüllten: Die meisten Toten auf diesem Keltenfriedhof waren miteinander verwandt – über die mütterliche Linie, wie Vergleiche der mitochondrialen, nur über die Mutter weitervererbten DNA ergaben. „Wir haben hier einen Familienstammbaum rekonstruiert, bei dem die meisten Mitglieder ihre Abstammung bis auf eine einzige Frau zurückführen können“, berichtet Cassidy. „Im Gegensatz dazu fehlten Verwandtschaften über die väterliche Linie fast völlig.“

Ein solches Muster ist typisch für eine matrilineare und matrilokale Gesellschaft – eine Sozialstruktur, in der Frauen Status und Besitz an ihre Töchter weitergaben und auch den Wohnort der Familien bestimmten. „Die DNA-Resultate verraten uns, dass die Ehemänner der Durotriges-Kelten bei ihrer Hochzeit in die Wohnorte und Familien ihrer Frauen wechselten, auch der Landbesitz wurde wahrscheinlich über die weibliche Linie vererbt“, erklärt Cassidy.

Und dies war offenbar kein Einzelfall im keltischen Britannien, wie ergänzende Analysen von 156 Fundstätten in anderen Teilen des Landes ergaben. „In ganz Großbritannien sahen wir keltische Friedhöfe, in denen die meisten Toten von einer nur kleinen Gruppe weiblicher Vorfahren abstammten“, berichtet Koautor Dan Bradley vom Trinity College. „In Yorkshire gab es beispielsweise eine dominante, matrilineare Verwandtschaftsgruppe, deren Wurzeln bis 400 vor Christus zurückreichten.“

Kelten waren Ausnahme im eisenzeitlichen Europa

Diese Resultate bestätigen erstmals, dass die Frauen bei den Kelten deutlich mehr Einfluss und Macht besaßen als in den meisten anderen Kulturen ihrer Zeit. Anders als die patriarchal und patrilinear geprägten Kulturen auf dem europäischen Festland und im antiken Mittelmeerraum war es bei den Kelten die weibliche Abstammung, die zählte – zumindest im eisenzeitlichen Großbritannien. Die DNA-Analysen liefern damit den lange gesuchten Beleg, dass die Kelten Britanniens tatsächlich matrilinear und matrilokal waren.

„Diese Ergebnisse stellen die Annahme infrage, dass prähistorische europäische Gesellschaften durchgehend patrilokal waren“, konstatiert Guido Gnecchi-Ruscone vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in einem begleitenden Kommentar. „Sie unterstreichen die zentrale Rolle der Frauen für die sozialen Netzwerke und möglicherweise auch beim Landbesitz in diesen Gemeinschaften.“

Römer-Berichte stimmen doch

Das wirft auch ein neues Licht auf die Berichte Julius Cäsars und der römischen Geschichtsschreiber: „Man nahm bisher an, dass die Römer die Freiheiten der keltischen Frauen übertrieben, um das Bild einer unzivilisierten Gesellschaft zu vermitteln“, erklärt Koautor Miles Russell von der Bournemouth University. Die Schilderungen von kriegerischen Keltenköniginnen wie Boudicca erschienen den patriarchal geprägten Römer vermutlich exotisch und wild.

Doch nun zeigt sich, dass diese Berichte keineswegs so verzerrt und falsch waren wie bisher gedacht. „Obwohl klassische Schilderungen eroberter Völker oft skeptisch zu sehen sind, steckt in den Beschreibungen des eisenzeitlichen Britanniens durch die römischen Autoren einiges Wahres“, schreiben die Archäologen. „Archäologie und nun auch Genetik sprechen dafür, dass keltische Frauen in vielen Bereichen des Lebens tatsächlich von großer Bedeutung waren.“

Wie war es bei den Festland-Kelten?

Diese Entdeckung wirft aber auch Fragen auf: Ungeklärt ist beispielsweise, wie die Rolle der Frauen bei den Keltenstämmen auf dem europäischen Festland aussah: Waren auch sie matrilinear? Falls ja, müsste sich die Sozialstruktur dieser zuvor patrilinearen Kulturen beim Übergang von der Bronzezeit zur Eisenzeit geändert haben. Denkbar wäre aber auch, dass nur einige Keltenstämme matrilinear waren. Künftige Studien müssen dies nun klären. (Nature, 2025; doi: 10.1038/s41586-024-08409-6)

Quelle: Nature, Trinity College Dublin

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