Pinkelnde Primaten: Unter Schimpansen ist Urinieren offenbar Gruppensache. Denn unsere nächsten Verwandten pinkeln häufig gemeinsam und lassen sich dabei vor allem von ranghöheren Tieren „anstecken“, wie Biologen beobachtet haben. Welchen Zweck dieses Verhalten erfüllt, ist noch unklar, es könnte aber die Gruppenbindung stärken. Da auch wir Menschen gerne gemeinsam auf Toilette gehen, liegt außerdem ein evolutionärer Ursprung des Phänomens nahe.
Der Toilettengang erscheint zwar auf den ersten Blick wie das Privateste im Leben, doch dafür gehen wir Menschen dieses Grundbedürfnis überraschend häufig gemeinschaftlich an. Besonders Frauen sagt man gerne nach, dass sie beim Ausgehen mit Vorliebe gemeinsam das Örtchen aufsuchen. Ein italienisches Sprichwort besagt sogar „Wer nicht in Gesellschaft pinkelt, ist entweder ein Dieb oder ein Spion“ und in Japan hat der Akt des Urinierens mit anderen sogar einen eigenen Namen: „Tsureshon“.
Gruppenpinkeln unter Schimpansen
„Beim Menschen kann das gemeinsame Urinieren als soziales Phänomen betrachtet werden“, sagt Erstautorin Ena Onishi von der Universität Kyoto. Dabei spricht einiges dafür, dass es sich um ein Verhalten mit tiefen evolutionären Wurzeln handelt. Um herauszufinden, ob auch unsere nächsten Verwandten gemeinschaftlich urinieren, haben Onishi und ihre Kollegen nun über 600 Stunden Videomaterial von 20 in Gefangenschaft lebenden Schimpansen analysiert. Die über 1.300 darin aufgezeichneten Uriniervorgänge offenbarten dem Team dabei verschiedene Muster.
Zum einen bestätigte sich, dass der Moment des Pinkelns bei Schimpansen keineswegs zufällig gewählt ist. In vielen Fällen lag bei den verschiedenen Gruppenmitgliedern maximal eine Minute zwischen der eigenen Pinkelpause und der der anderen. Ob ein solches synchronisiertes Urinieren eintrat, hing auch von der räumlichen Distanz der unterschiedlichen Schimpansen ab. Je näher sie sich waren, desto wahrscheinlicher pinkelten sie dann, wenn einer ihrer Artgenossen dies tat, wie die Beobachtungen ergaben.
Der Boss gibt die Zeit vor
Aber warum verhalten sich Schimpansen so? Zunächst vermuteten Onishi und ihr Team, dass es sich bei dem kollektiven Urinieren um einen Fall sozialer Nachahmung unter eng verbandelten Individuen handeln könnte – ähnlich wie ansteckend wirkendes Gähnen. „Unsere Ergebnisse zeigten jedoch keine Hinweise auf Effekte, die mit sozialer Nähe zusammenhängen“, erklärt Onishi. „Stattdessen beobachteten wir einen eindeutigen Einfluss des sozialen Rangs“. Schimpansen mit niedrigerem Rang urinierten demnach häufig immer dann, wenn ranghöhere Tiere dies gerade ebenfalls taten.
„Das war ein unerwartetes und faszinierendes Ergebnis, da es mehrere Interpretationsmöglichkeiten eröffnet“, ergänzt Seniorautor Shinya Yamamoto. „Es könnte zum Beispiel eine versteckte Führungsrolle bei der Synchronisierung von Gruppenaktivitäten, die Stärkung sozialer Bindungen oder Aufmerksamkeitsverzerrungen bei rangniedrigeren Individuen widerspiegeln.“ Vielleicht achten rangniedrigere Schimpansen also einfach mehr darauf, was höhergestellte Tiere tun, und ahmen sie nach, um dazuzugehören.
Weitere Forschung nötig
So oder so könnte das gemeinschaftliches Urinieren von bislang übersehener sozialer Bedeutung sein und schon früh in der Evolution der Primaten zum ersten Mal aufgetreten sein, wie Onishi und ihre Kollegen vermuten. Folgestudien könnten Klarheit darüber bringen, welche konkreten Funktionen das synchronisierte Pinkeln erfüllt und ob das Phänomen auch bei anderen Arten auftritt. (Current Biology, 2025; doi: 10.1016/j.cub.2024.11.052)
Quelle: Cell Press