Archäologie

Rätsel der Bornholmer Sonnensteine gelöst?

Archäologen finden möglichen Grund für die rituelle Opferung von Sonnenmotiv-Steinplatten vor 4.900 Jahren

Sonnensteine von Bornholm
Zwei der gut 600 Sonnensteine von Bornholm, die vor rund 4.900 Jahren in einer Ritualanlage "bestattet" wurden. © Nationalmuseum Dänemarks

Mysteriöse Opfergaben: Archäologen könnten das Geheimnis der in ganz Europa einzigartigen „Sonnensteine“ von Bornholm gelüftet haben. Diese Steine mit eingeritzten Sonnenmotiven wurden vor 4.900 Jahren in einer jungsteinzeitlichen Ritualanlage vergraben – offenbar als Opfergaben. Jetzt zeigt sich: Grund für diese steinernen Opfer war möglicherweise ein großer Vulkanausbruch, der die Sonne verdunkelte und das Klima Nordeuropas über Jahre veränderte, wie die Forscher in „Antiquity“ berichten.

Ob der Sonnenwagen von Trundholm, die Himmelsscheibe von Nebra oder Sonnenmotive auf Felskunst und Kultobjekten: In vielen Kulturen der europäischen Frühgeschichte spielte die Sonne eine wichtige Rolle. Kein Wunder: Für die Bauern der Jungsteinzeit und frühen Bronzezeit hing das Überleben von Sonne und günstigem Wetter ab – vor allem im kühleren Norden Europas.

Vasagård
Aufbau der Anlage von Vasagård. Blaue Linien zeigen die Lage der Gräben mit den Sonnensteinen, rot markiert sind die später errichteten Palisadenzäune. © Michael S. Thorsen/ Antiquity, CC-by 4.0

Massenhaft Steinplatten mit Sonnen- und Strahlenmotiven

„Ein einzigartiger Fund in diesem Kontext sind die sogenannten Sonnensteine von Bornholm: Flache Schieferstücke mit eingravierten Mustern und Sonnenmotiven“, erklärt Erstautor Rune Iversen von der Universität Kopenhagen. Im Süden der dänischen Insel Bornholm wurden 614 solcher Steine in zwei Ritualstätten der Trichterbecherkultur entdeckt. Sie stammen aus der Zeit um 2.900 vor Christus und bilden eine eng begrenzte Schicht in zwei halbrunden Gräben der jungsteinzeitlichen Anlage von Vasagård.

Die eingeritzten Strahlen- und Kreismotive legen nahe, dass es sich bei diesen Steinen um Opfergaben oder Amulette zu Ehren der Sonne handelte. Einige Steine sind leicht abgewetzt, als hätten ihre Besitzer sie eine Weile mit sich herumgetragen. „Diese Sonnensteine sind absolut einzigartig – auch im europäischen Kontext“, erklärt Iversen. Es handele sich hier um eines der frühesten bekannten Zeugnisse eines jungsteinzeitlichen Sonnenkults in Skandinavien.

Geopfert bei einem großen Ritual

Interessant auch: Der Fund der Sonnensteine in nur einer dünnen Schicht legt nahe, dass sie zu einem bestimmten Anlass oder Ritual gezielt im Boden „begraben“ wurden. „Die Menschen deponierten sie – zusammen mit Resten eines rituellen Festmahls in Form von Tierknochen und zerbrochenen Tongefäßen – in diesen Gräben und schlossen diese anschließend“, berichtet Iversen. Zu keiner anderen Zeit davor oder danach gebe es in dieser Gegend ähnliche gravierte Steine.

Auch die Ritual-Anlage von Vasagård wurde direkt nach Deponierung der Sonnensteine völlig umgebaut: „Man baute hunderte Meter lange, massive Holzpalisaden, um die Anlage einzuschließen – vielleicht als Schutz“, berichten die Archäologen. Parallel dazu entstanden in der Nähe erste runde Kulthäuser – sie markieren das Ende der Trichterbecherkultur in dieser Gegend und den Beginn einer neuen kulturellen Phase.

Was war der Auslöser?

Aber was war der Auslöser für die „Bestattung“ der Sonnensteine und den kompletten Umbau der Vasagård-Anlage? Auf der Suche nach einer Erklärung haben Iversen und sein Team untersucht, ob es damals, vor rund 4.900 Jahren, möglicherweise ein mit der Sonne zusammenhängendes Ereignis gab. „Ein solches Ereignis könnte eine Naturkatastrophe oder ein Klimaphänomen gewesen sein, dass die Sonne verhüllte und die Ernten beeinträchtigte“, erklären die Forscher.

Tatsächlich wurden die Archäologen fündig: In Seesedimenten aus der Eifel, Jahresringen von Bäumen in Deutschland und Eisbohrkernen aus Grönland zeigte sich, dass es vor rund 4.900 Jahren eine Kälteperiode in Nordeuropa und weiten Teilen der Nordhalbkugel gab. „Die vier Jahre der besonders schmalen Baum-Jahresringe korrelieren zudem mit Jahren, in denen besonders hohe Sulfatwerte in den grönländische Eisbohrkernen auftraten – solche Einschlüsse signalisieren in der Regel Vulkanausbrüche“, berichten Iversen und seine Kollegen.

Ereignisvergleich
Zeitlicher Vergleich von Kältephasen, Vulkanausbrüchen und archäologischen Phasen vor rund 4.900 Jahren. © Mads Lou Bendtsen/ Nationalmuseum Dänemarks; Antiquity, CC-by 4.0

Vulkanausbruch brachte Kälte und verschleierte die Sonne

Nähere Analysen ergaben, dass es in der Zeit der Sonnensteine sogar zwei größere Vulkanausbrüche auf der Nordhalbkugel gab, einen um 2931 vor Christus und einen um 2910 vor Christus. „Die zweite Eruption war stark genug, um Wetter und Ernten in der gesamten nördlichen Hemisphäre beeinträchtigt zu haben“, schreiben die Archäologen. Ihren Berechnungen nach schleuderte der – nicht identifizierte – Vulkan genügend Schwefelgase in die obere Atmosphäre, um eine jahrelange Abkühlung des Klimas und eine Verschleierung der Sonne zu bewirken.

„Für die Menschen des jungsteinzeitlichen Bornholm muss es extrem beängstigend gewesen sein, als die Sonne für längere Zeit von Dunstschleiern verhüllt wurde“, sagt Iversen. „Es ist daher naheliegend, dass sich die Menschen gegen eine weitere Verschlechterung des Klimas schützen wollten, indem sie die Sonnensteine opferten.“ Denkbar sei allerdings auch, dass die Sonnensteine Dankbarkeit für die Rückkehr der Sonne ausdrücken sollten, nachdem die vulkanbedingte Kältephase vorüber war.

Nach Ansicht der Archäologen wirft dieser neu entdeckte Zusammenhang der Sonnensteine mit einem jungsteinzeitlichen Vulkanausbruch ein ganz neues Licht auf die Funde von Bornholm. Die Eruption und ihre Folgen könnten demnach erklären, warum die Menschen damals plötzlich Steine mit Sonnemotiven verzierten und diese dann opferten. „Es ist eine unglaubliche Entdeckung, die demonstriert, dass der Brauch von rituellen Depositionen zu Ehren der Sonne schon weit zurückreicht“, sagt Koautor Lasse Vilien Sørensen vom dänischen Nationalmuseum.

Anstoß für tiefgreifenden kulturellen Wandel

Gleichzeitig könnte der Vulkanausbruch auch das Ende der Trichterbecherkultur in Skandinavien eingeläutet haben. „Die Kältephase um 2900 vor Christus könnte tiefgreifendere ökonomische und soziale Auswirkungen auf die Menschen gehabt haben“, erklären die Forscher. Studien belegen, dass es damals einen deutlichen Bevölkerungsrückgang, Todesfälle durch die Pest und ein verbreitetes Vorrücken der Wälder gab, die auf einen allgemeinen Niedergang am Ende der Jungsteinzeit hindeuten.

Kurze Zeit später wurde die jungsteinzeitliche Trichterbecherkultur von der Schnurkeramikkultur der frühen Bronzezeit abgelöst. „Dies steht auch in engem Zusammenhang mit der Einwanderung von Menschen aus den pontischen Steppen nördlich des Schwarzen Meeres nach Ost-, Mittel- und Nordeuropa“, so Inversen und sein Team. Die einwandernden Steppenvölker lösten einen tiefgreifenden kulturellen Wandel in ganz Europa aus und brachten entscheidende Fortschritte für die europäische Entwicklung mit sich. (Antiquity, 2025; doi: 10.15184/aqy.2024.217)

Quelle: University of Copenhagen – Faculty of Humanities

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