Archäologie

Fossil enthüllt Gesicht der ersten Europäer

1,4 Millionen Jahre alte Knochenfragmente aus Nordspanien sind ältestes Gesichtsfossil Europas

Fossile Gesichtsknochen
Diese in Nordspanien entdeckten Knochen zeigen Teile der linken Gesichtshälfte eines 1,1 bis 1,4 Millionen Jahre alten Frühmenschen – es ist das älteste Gesichtsfossil Europas. © Maria D. Guillén / IPHES-CERCA, Elena Santos / CENIEH

Spektakuläre Entdeckung: In Nordspanien haben Archäologen das älteste Gesichtsfossil Europas entdeckt. Die 1,1 bis 1,4 Millionen Jahre alten Schädelfragmente zeigen Kiefer, Wangen und Nase einer noch unbekannten Frühmenschen-Art, die moderner war als Homo erectus, aber archaischer als der Neandertaler-Vorfahre Homo antecessor. Damit belegt der Fund, dass Europa damals von mindestens zwei, vielleicht sogar mehr Frühmenschenarten besiedelt war, wie das Forschungsteam in „Nature“ berichtet.

Schon lange vor Neandertalern und Homo sapiens gab es auf unserem Kontinent Frühmenschen. Davon zeugen unter anderem 1,8 Millionen Jahre alte Fossilien aus dem georgischen Dmanissi sowi e rund 1,4 Millionen Jahre alte Steinwerkzeuge in der Ukraine. Doch welcher Art diese ersten europäischen Vertreter der Gattung Homo angehörten und wie sie miteinander verwandt waren, ist ungeklärt – meist fehlen den Funden entscheidende anatomische Merkmale, wie beispielsweise die Knochen des Gesichts.

Ausgrabung
Ausgrabungen in der Höhle Sima del Elefante , freigelegt ist hier die Fundschicht von ATE7-1.© Maria D. Guillén / IPHES-CERCA

Neue Menschenfossilien aus Atapuerca

Jetzt liefert ein neuer Fossilfund aus der nordspanischen Kommune Atapuerca neue Einblicke. In dieser Region wurden bereits 1990 die rund 860.000 Jahre alten fossilen Überreste eines Homo antecessor entdeckt. 2008 folgte in der Höhle Sima del Elefante der Fund eines 1,1 bis 1,2 Millionen Jahre alten Frühmenschen-Unterkiefers. Die Artzuordnung dieses ATE9-1 getauften Fossils blieb jedoch offen.

Deshalb haben Archäologen um Rosa Huguet vom katalanischen Institut für Paläoökologie und menschliche Evolution (IPHES-CERCA) nun nach weiteren Funden in der Sima-del-Elefante-Höhle gesucht – und wurden fündig. Bereits 2022 stießen sie in einer etwas tiefer liegenden Fundschicht erneut auf fossile Knochenfragmente eines Homininen. Diese ATE7-1 getauften Funde sind rund 1,1 bis 1,4 Millionen Jahre alt – und damit deutlich älter als der Homo antecessor, wie das Team berichtet.

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Das älteste menschliche Gesicht Westeuropas

Die fossilen Knochen umfassen Bruchstücke des Oberkiefers, der Nase sowie des linken Jochbeins eines erwachsenen Frühmenschen. Sie zeigen damit wesentliche Teile seiner mittleren Gesichtspartie – schon dies ist eine Rarität. Noch bedeutsamer ist ATE7-1 jedoch wegen seines hohen Alters. „Dieses Fossil repräsentiert das älteste menschliche Gesicht, das bisher in Westeuropa gefunden wurde“, schreiben Huguet und ihre Kollegen.

Doch von welcher Frühmenschenart stammen diese Gesichtsknochen? Um das herauszufinden, analysierten die Forschenden jedes Knochenfragment, scannten es ein und nutzten 3D-Modelle, um die Gesichtsknochen virtuell zusammenzusetzen. Erst dadurch konnten sie die Anatomie ihres Frühmenschenfossils mit der anderer europäischer Homininenfunde vergleichen.

Gesichtsfossil
Fossil ATE7-1 (rechts) und die virtuell gespiegelte zweite Gesichtshälfte der noch unbekannten Frühmenschenart. © Maria D. Guillén / IPHES-CERCA,; Elena Santos / CENIEH

Kein Homo antecessor, aber auch kein reiner Homo erectus

Die anatomischen Analysen enthüllten: Die ATE7-1-Gesichtsknochen können nicht vom Homo antecessor stammen: „Homo antecessor teilt mit Homo sapiens ein moderneres Aussehen des Gesichts und eine ausgeprägte Nasenstruktur“, erklärt Co-Autorin María Martinón-Torres vom Nationalen Forschungszentrum CENIEH in Burgos. Dem auch „Pink“ getauften Fossil ATE7-1 fehlen die meisten dieser moderneren Merkmale hingegen. „Wir können daher relativ sicher sagen, dass dieses Exemplar zu einer anderen Spezies gehörte als der Homo antecessor aus Gran Dolina“, konstatieren die Forschenden.

Stattessen muss ATE7-1 einer archaischeren Frühmenschen-Spezies angehört haben. Seine Gesichtsknochen ähneln in seiner flachen und unterentwickelten Nasenstruktur eher dem Homo erectus, wie das Team berichtet. Allerdings besitzt ATE7-1 bereits „moderne“ Eckzahngruben im Oberkiefer und sein Gesicht ist schmaler als das der meisten bekannten Homo-erectus-Exemplare. Auch von den Frühmenschen-Fossilien aus dem georgischen Dmanissi unterscheiden sich die neuen Funde.

Neue Frühmenschenart?

Nach Ansicht von Huguet und ihrem Team könnte das Gesichtsfossil aus der Sima-del-Elefante-Höhle von einer bisher unbekannten Frühmenschenspezies stammen. „Die Beweise reichen noch nicht aus für eine endgültige Klassifikation“, erklärt Martinón-Torres. Wegen der Ähnlichkeiten zum Homo erectus haben die Paläanthropologen ihre Fund vorläufig „Homo affinis erectus“ getauft – affinis bedeutet soviel wie nahestehend. „Diese Bezeichnung kennzeichnet die Übereinstimmungen mit Homo erectus, lässt aber die Möglichkeit offen, dass ATE7-1 einer anderen Art angehören könnte“, erklärt Martinón-Torres.

Doch auch wenn die Identität dieses 1,1 bis 1,4 Millionen Jahre alten Frühmenschen noch ungeklärt ist – schon seine bloße Existenz wirft ein neues Licht auf die europäische Frühgeschichte. „Der Fund beweist, dass Westeuropa während des frühen Pleistozän von mindestens zwei verschiedenen Homo-Spezies bevölkert war: erst dem Homo affinis erectus, dann später dem Homo antecessor“, konstatieren die Forschenden.

Als die Frühmenschen fast verschwanden

Spannend auch: Der zeitliche Abstand zwischen den beiden Frühmenschenarten könnte einen schon zuvor vermuteten Einschnitt bestätigen. Denn ab der Zeit vor rund 1,1 Millionen klafft eine rund 300.000 Jahre anhaltende Lücke in den europäischen Fossilfunden. 2023 ermittelten Forschende einen möglichen Grund dafür: Zu dieser Zeit kühlte sich das Klima in Europa drastisch ab und verwandelte weite Teile des Kontinents in karge Kältesteppen. Europa könnte dadurch für viele Frühmenschen weitgehend unbewohnbar gewesen sein.

Ob auch das Gebiet von Atapuerca sich damals komplett entvölkerte, ist jedoch noch ungeklärt. „Es gibt dazu verschiedenste Szenarien. Eines ist die Möglichkeit, dass eine Restpopulation von Homo aff. Erectus für kurze Zeit gemeinsam mit dem Homo antecessor vorkam“, erklären Huguet und ihre Kollegen. Die Gegend rund um die Höhlen von Atapuerca könnte dabei trotz Kaltzeit noch mild genug gewesen sein, um den Frühmenschen als Refugium zu dienen.

Denkbar wäre aber auch, dass die Kälte den Homo affinis erectus ganz aus Nordspanien vertrieb. Der Homo antecessor wanderte dann erst nach Ende des Kälteeinbruchs wieder in die Region ein. Welches Szenario zutrifft, könnten weitere Funde aus Atapuerca zeigen. „Die neue Fossil-Entdeckung bestätigt damit die Rolle von Atapuerca als entscheidender Ort für die Erforschung der menschlichen Evolution“, sagt Huguets Kollegin Marina Mosquera. (Nature, 2025; doi: 10.1038/s41586-025-08681-0)

Quelle: Nature, Institut Català de Paleoecologia Humana i Evolució Social (IPHES-CERCA)

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