Neurowissenschaften

Schon Natur-Videos können Schmerzen lindern

Wie virtuelle Naturerfahrungen die Schmerzverarbeitung im Gehirn hemmen

Naturvideo auf einem Smartphone
Schon das Betrachten der Natur per Video wirkt schmerzlindernd. © Thapana Onphalai/iStock

„Grüne Medizin“: Wenn wir Zeit in der Natur verbringen, verändert dies die Schmerzverarbeitung im Gehirn und kann akute körperliche Schmerzen lindern. Dieser Effekt tritt sogar schon bei virtuellen Naturausflügen per Video ein, wie nun eine Studie belegt. Während Placebos nur die Schmerzbewertung im Gehirn verändern, hemmen solche Naturerfahrungen die Weiterleitung der Nervensignale vom Schmerzauslöser, berichtet das Team in „Nature Communications“.

Ob in Parks, Wäldern oder am Meer – sich draußen aufzuhalten, kann nachweislich das Stressniveau senken und das Risiko für einige Krankheiten verringern. Die Geräusche, Farben und Gerüche der Natur wirken auf uns entspannend und beruhigend. Stadtbäume und andere Pflanzen sorgen zudem für gesündere Luft und verbessern das Stadtklima.

Foto einer Gruppe von Wanderern auf einer Hängebrücke im Wald
Bei Ausflügen in die Natur empfinden wir weniger Schmerzen. © Ryan McVay/iStock

Darüber hinaus könnte die Natur sogar schmerzlindernd wirken: „Aus einer aktuell laufenden Studie wissen wir, dass Menschen zuverlässig weniger Schmerz empfinden beziehungsweise davon berichten, wenn sie natürlichen Umgebungen ausgesetzt sind“, berichtet Seniorautor Claus Lamm von der Universität Wien. „Bisher war allerdings unklar, warum das so ist.“

Wirkt auch Natur per Video?

Wie Naturerfahrungen akute körperliche Schmerzen lindern, haben Forschende um Lamm und Erstautor Maximilian Steininger von der Universität Wien daher in einer weiteren Studie näher untersucht. Dafür verabreichten die Neurowissenschaftler 49 Testpersonen mehr oder weniger schmerzhafte Elektroschocks und zeichneten gleichzeitig mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) deren Hirnaktivität auf. Zudem befragten sie die Probanden zu ihrer subjektiven Schmerzwahrnehmung auf einer Skala von null bis acht.

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Die Teilnehmenden hielten sich dabei jedoch nicht tatsächlich draußen in der Natur auf, sondern schauten je ein Video samt Ton. Eines der drei Testvideos zeigte eine Szene in der freien Natur, die anderen beiden einen neutralen Büroraum und eine stressige städtische Szene.

Naturerfahrungen dämpfen Schmerzwahrnehmung

Es zeigte sich: Beim Betrachten des Naturvideos empfanden die Testpersonen akute Schmerzen als weniger intensiv und unangenehm. Im Schnitt stuften sie die Schmerzintensität während dieser virtuellen Naturerfahrung rund 25 Prozent geringer ein als beim Schauen der beiden Vergleichsszenen. „Diese Resultate bestätigen unsere Hypothese und deuten darauf hin, dass dies sowohl die Wahrnehmung der Intensität als auch die emotionale Bewertung als unangenehm betrifft“, berichten die Forschenden.

Der Effekt der virtuellen Naturerfahrung zeigte sich auch im Gehirn der Testpersonen: Die Hirnscans enthüllten, dass einige der Areale im Gehirn, die mit Schmerzen verbunden sind, beim Betrachten der Natur weniger aktiv waren. Dazu zählen der Thalamus, der sekundäre somatosensorische Kortex (S2) und die hintere Inselrinde (pINS). Steininger und seinem Team zufolge legt dies nahe, dass die Schmerzlinderung keine Einbildung, sondern ein echter neurologischer Effekt ist. Doch wie kommt er zustande?

Wie funktioniert die Schmerzlinderung?

„Die Schmerzverarbeitung setzt sich wie ein Puzzle aus einzelnen Teilen zusammen, die im Gehirn unterschiedlich verarbeitet werden. Einige Puzzleteile bestimmen unsere emotionale Schmerzreaktion, also etwa, ob wir ihn als unerträglich empfinden. Andere Puzzleteile betreffen die dem Schmerz zugrundeliegenden körperlichen Signale, also etwa Informationen darüber, wo im Körper der Schmerz lokalisiert ist und wie intensiv er gerade ist“, erklärt Steininger.

Grafik zeigt die Schmerzreaktion im Gehirn
Die Gehirnreaktion zeigt die Gesamtaktivität des Gehirns, die an der Verarbeitung des Ortes und der Intensität des Schmerzes beteiligt ist. Diese Reaktion war geringer, wenn Menschen virtuellen Naturszenen ausgesetzt waren, verglichen mit städtischen oder Indoor-Szenen.© Max Steininger, Universität Wien

Placebos lindern Schmerzen in der Regel, indem sie unsere emotionale Reaktion auf den Schmerz verändern. Das Betrachten von Natur tut dies auch, reduziert aber zusätzlich vor allem die frühen, körperbezogenen Schmerzsignale im Gehirn, die über einen neuronalen Schaltkreis mit Nocizeptoren verarbeitet werden, wie die Tests ergaben.

„Der Natur-Effekt scheint also weniger mit den Erwartungen und Emotionen der Teilnehmenden zu tun zu haben, sondern mehr mit der Veränderung von zugrundeliegenden Schmerzsignalen“, schließt Steininger. Demnach reagiert unser Gehirn beim Betrachten der Natur tatsächlich schwächer auf den körperlichen Auslöser des Schmerzes. Ähnliches passiert auch beim Meditieren.

Naturerfahrung als Schmerztherapie?

Die Erkenntnisse belegen damit, dass die Naturerfahrungen tatsächlich dabei helfen können, akute Schmerzen zu lindern – „auch wenn die von uns festgestellte Wirkung nur etwa halb so groß war wie die von Schmerzmitteln”, so Steininger. Gängige medikamentöse Schmerztherapien könnten demnach durch naturbasierte Therapien nicht ersetzt, aber sinnvoll ergänzt werden. Das könnten ärztlich oder selbst verordnete Ausflüge in die virtuelle Natur sein – etwa in Form von Filmen oder Virtual Reality.

„Ob die Ergebnisse auf reale Kontexte übertragbar sind, muss noch geprüft werden“, betonen die Forschenden. Folgestudien könnten klären, ob Spaziergänge in der freien Natur genauso oder noch stärker schmerzlindernd wirken. Da solche Ausflüge mehr Sinne ansprechen als Videos – etwa über Gerüche –, soll dabei auch geklärt werden, wie die Natur ihre Wirkung am besten entfaltet.

„Um herauszufinden, welche spezifischen sensorischen Elemente und deren Kombination natürliche Umgebungen besonders wirksam bei der Schmerzlinderung machen, bedarf es weiterer Forschung“, so das Team. Unklar ist auch noch, ob die Natur auch chronische Schmerzen lindern kann oder nur akute Schmerzen. (Nature Communications, 2025; doi: 10.1038/s41467-025-56870-2)

Quellen: Universität Wien, University of Exeter

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