Ein interdisziplinäres Forscherinnenteam des Museums für Naturkunde Berlin hat einen Kommentar veröffentlicht, der die Bedeutung der Digitalisierung für die Erforschung kolonialer naturkundlicher Sammlungen hervorhebt. Am Beispiel der weltberühmten Fossiliensammlung aus Tendaguru (heutiges Tansania), die zwischen 1909 und 1913 während der deutschen Kolonialherrschaft gesammelt wurde, argumentieren die Wissenschaftlerinnen, dass naturkundliche Objekte aus kolonialen Kontexten zusammen mit zugehörigen Archivalien digital zugänglich gemacht werden müssen.
Der Aufbau naturhistorischer Museen und Sammlungen war in Europa untrennbar mit der Kolonialexpansion seit dem Ende des 15. Jahrhunderts verbunden. Wissenschaftliche, wirtschaftliche und politische Motive verbanden sich dabei eng miteinander. Das Ziel naturkundlichen Sammelns war es, auf der Basis möglichst vieler Objekte die Vielfalt der Flora und Fauna sowie der Mineralien zu beschreiben und nach westlichen Vorstellungen zu ordnen. Gleichzeitig diente die Erforschung der natürlichen Ressourcen in den kolonisierten Ländern ihrer wirtschaftlichen Ausbeutung. Das Museum für Naturkunde Berlin ist exemplarisch für diese Zusammenhänge: Seit seiner Gründung 1810 erhielt es Sammlungen aus aller Welt. Hier – wie in allen anderen großen westlichen Naturkundemuseen – bildet Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten bis heute eine bedeutsame Grundlage der Forschung und Vermittlung sowie der Ausstellungen.
Am Museum für Naturkunde Berlin findet in mehrere Projekten eine intensive und kritische Auseinandersetzung mit der Institutionen- und Sammlungsgeschichte statt. Dabei steht Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten im Fokus. Ein Beispiel ist das Buch Dinosaurierfragmente. Zur Geschichte der Tendagura-Expedition und ihrer Objekte, 1906-2018. Ziel ist es, Prozesse der Reflexion und Transformation anzustoßen und die Sammlung für einen globalen Dialog zu öffnen. Damit nimmt das Museum für Naturkunde Berlin eine Vorreiterrolle ein.
Die Hauptautorin der Studie, Geowissenschaftlerin Verónica Díez Díaz, betont: „Fossilien sind nicht nur paläontologische Forschungsobjekte, sondern auch Kulturgüter mit einer vielschichtigen Objektbiografie. Naturwissenschaftler:innen müssen ihre Perspektive erweitern und diese Zusammenhänge stärker berücksichtigen.“