Tierische Arznei: Was für uns Tabletten und Tropfen, sind für Rotstirnmakis Tausendfüßler. Forscher haben herausgefunden, dass die Primaten die Gliederfüßer als Medizin benutzen. Sie reiben sich mit deren Sekreten ein und schlucken sie sogar. Diese Form der Selbstmedikation dient wahrscheinlich als Therapie gegen lästige Magen-Darm-Parasiten – und wird von den Affen womöglich sogar zur Prävention eingesetzt.
Wenn unsereins ein Wehwehchen plagt, gehen wir in die Apotheke. Unsere Vorfahren hatten es da noch nicht so leicht. Sie mussten sich ihre Arzneien in der Natur suchen. Viele indigene Naturvölker machen das bis heute so – doch sie sind nicht die einzigen, die den Medizinschrank von Mutter Erde für sich zu nutzen wissen. Auch Tiere können sich bei Krankheit selbst helfen und nehmen gezielt Medikamente ein.
Bekannt ist beispielsweise, dass einige Affenarten Heilpflanzen verzehren, wenn sie krank sind. So legen Schimpansen etwa weite Strecken zurück, um an die rauen Blätter der Aspilia zu gelangen. Diese Pflanzenbestandteile regen die Darmbewegungen an und helfen den Primaten so dabei, lästige Faden- und Bandwürmer schneller auszuscheiden – ein Trick, den auch die Menschen in Tansania kennen.
Zum Reiben und Schlucken
Auf Madagaskar heimische Rotstirnmakis setzen dagegen nicht auf Pflanzenmedizin, um Parasiten loszuwerden. Sie wählen stattdessen eine krabbelnde Arznei: in Form von Tausendfüßlern. Wie Forscher um Louise Peckre vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen beobachtet haben, kauen die Lemuren mitunter auf den Gliederfüßern herum, wenn diese mit dem Beginn der Regenzeit vermehrt aus ihren Verstecken hervorkriechen.
Mit der beim Kauen entstehenden Flüssigkeit reiben sich die Tiere dann Haut und Fell rund um Genitalien, Darmausgang und Schwanz ein. Manche Affen schlucken den orange gefärbten Saft auch. „Die Kombination aus Einreiben und Fressen von Tausendfüßlersekreten könnte eine Art der Selbstmedikation sein“, sagt Peckre. Doch wogegen soll der Saft helfen?
Schutz vor Fadenwürmern
Die Wissenschaftler entdeckten bei mehreren Rotstirnmakis kahle Stellen, die wahrscheinlich durch wiederholtes Scheuern entstanden waren. Dies könnte ihnen zufolge auf einen Befall mit Nematoden hinweisen – Fadenwürmern, die den Magen-Darm-Trakt ihrer Wirte befallen und unter anderem juckende Hautausschläge rund um den Darmausgang hervorrufen.
Tatsächlich könnte die Tausendfüßlermedizin gegen diese Parasiten wirkungsvoll sein. Denn Tausendfüßler scheiden zum Schutz vor Feinden eine große Bandbreite von Chemikalien aus – darunter die Verbindung Benzochinon. Diese wehrt Insekten wie Mücken ab und könnte auch dazu beitragen, die Fadenwürmer wieder loszuwerden.
Das Forscherteam glaubt, dass die Lemuren die Tausendfüßler aber nicht nur zur akuten Behandlung nutzen – sondern einem Befall damit auch vorbeugen. Ebenso wie die Therapie ist die Prävention ein medizinisches Prinzip, das neben dem Menschen auch viele andere Arten im Tierreich kennen. (Primates, 2018; doi: 10.1007/s10329-018-0674-7)
(Deutsches Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung, 01.08.2018 – DAL)