Neurobiologie

Wie Geruchserinnerungen entstehen

Neue Verbindung zwischen Geruchssinn und Gedächtnis entdeckt

Manche Düfte wecken Erinnerungen an vergangene Erlebnisse in uns. © Halfpoint/ iStock.com

Duftende Gedächtnisinhalte: Viele Erinnerungen sind in unserem Gehirn eng mit Gerüchen verknüpft. Forscher haben nun herausgefunden, wie solche komplexen Gedächtnisinhalte zustande kommen. Demnach sorgt eine Verbindung zwischen zwei unterschiedlichen Hirnbereichen dafür, dass ein Dufteindruck gemeinsam mit Informationen zum Wo und Wann abgespeichert wird. Diese Erkenntnis könnte auch für die Alzheimerforschung interessant sein.

Ob der Duft unserer Leibspeise aus Kindheitstagen oder das Parfum, das wir mit einer geliebten Person verbinden: Manche Gerüche können Erinnerungen an lange zurückliegende Erlebnisse wecken. Plötzlich versetzt uns das, was unsere Nase wahrnimmt, dann in längst vergangene und schon vergessen geglaubte Zeiten zurück. Wohl kaum ein anderer unserer Sinne ist so unmittelbar mit dem Erinnern verknüpft wie der Geruchssinn.

Dieser Zusammenhang zeigt sich auch bei Alzheimer-Patienten. Der Verlust des Geruchssinns ist eines der ersten Symptome dieser neurodegenerativen Erkrankung. Schon bevor die Merkfähigkeit spürbar beeinträchtigt ist, haben viele Betroffene Probleme damit, Alltagsgerüche zu erkennen. Denn bereits in diesem frühen Stadium beginnt unter anderem der sogenannte Nucleus olfactorius anterior zu verkümmern – eine für die Verarbeitung von Gerüchen wichtige Hirnregion, über die Forscher allerdings erst wenig wissen.

Verbindende Nervenbahn

Um mehr über seine Struktur und Funktion zu erfahren, haben sich Wissenschaftler um Afif Aqrabawi von der University of Toronto in Kanada diesem Bereich im Gehirn nun näher gewidmet. Dabei entdeckten sie eine bisher unbekannte Nervenbahn: Sie verbindet den Nucleus olfactorius anterior mit dem Hippocampus, der eine bedeutende Rolle für das Gedächtnis und das kontextuelle Erinnern spielt.

Schnüffelnder Proband: Erinnert sich die Maus an den Geruch? © Afif Aqrabawi

Was würde passieren, wenn man diese Verbindung kappt? Dies testete das Forscherteam bei Experimenten mit Mäusen. Von den Nagern ist bekannt, dass sie sich bevorzugt mit neuen Düften beschäftigen. Im Gegensatz dazu weckt ein Geruch, den sie bereits kennen, weniger ihre Neugier. „Wenn sie diese Präferenz verlieren, bedeutet das, dass sie sich an den eigentlich bekannten Geruch nicht mehr erinnern können“, erklärt Aqrabawi.

Unvollständige Erinnerung

Im Geruchstest zeigte sich: Nager, bei denen die Leitung zwischen Hippocampus und Nucleus olfactorius anterior nicht mehr intakt war, kehrten immer wieder zu zuvor bereits gerochenen Duftproben zurück und „erschnüffelten“ sie für eine erstaunlich lange Zeit. Sie hatten offenbar ihre Geruchserinnerung verloren. Damit zeigten sie dieselben Symptome wie Alzheimer-Patienten, obwohl ihr Nucleus olfactorius anterior an sich nicht beschädigt war.

Für die Wissenschaftler scheint damit klar: Auch die Verbindung ist entscheidend. Sie glauben, dass über diesen Weg Informationen über Raum und Zeit mit einem sensorischen Eindruck verknüpft werden. „Diese Elemente formen zusammen eine Erinnerung, die sowohl das Was als auch das Wann und das Wo beinhaltet. Aus diesem Grund steigt uns etwa unvermittelt der Duft des Parfums unseres Partners in die Nase, wenn wir an den ersten Kuss mit ihm denken“, sagt Aqrabawi. Gelingt es nicht, das Was mit dem Wann und Wo zu verbinden, bleibt die Geruchserinnerung dagegen unvollständig.

Bessere Früherkennung?

„Unsere Ergebnisse zeigen, wie Düfte, die uns in unserem Leben begegnen, zu Erinnerungen werden. Wir verstehen jetzt, welche Schaltkreise im Gehirn das episodische Gedächtnis für Gerüche beeinflussen“, konstatiert Aqrabawi. In Zukunft können diese Erkenntnisse ihm zufolge dafür genutzt werden, das episodische Gedächtnis des Menschen sowie Defizite in Sachen Geruchserinnerung bei neurodegenerativen Erkrankungen weiter zu erforschen.

Möglicherweise ergeben sich dadurch auch bessere Diagnoseverfahren für Alzheimer und Co. Schon jetzt verwenden Mediziner Geruchstests, um eine beginnende Demenz unkompliziert und kostengünstig zu erkennen. Solche Tests könnten mit einem besseren Verständnis der zugrundeliegenden neuronalen Mechanismen optimaler gestaltet und somit zuverlässiger werden, wie die Forscher betonen. (Nature Communications, 2018; doi: 10.1038/s41467-018-05131-6)

(University of Toronto, 24.07.2018 – DAL)

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