Durchbruch nach 100 Jahren: Forschern ist es gelungen, die Herkunft eines extrem energiereichen Neutrinos zu bestimmen – und damit den Ursprung der kosmischen Strahlung einzugrenzen. Das vom Neutrino-Observatorium IceCube eingefangene „Geisterteilchen“ stammt demnach aus dem Jet eines rund vier Milliarden Lichtjahre entfernten Blazars – einem aktiven Schwarzen Loch im Herzen einer Galaxie, wie das Team im Fachmagazin „Science“ berichtet.
Die kosmische Strahlung ist bis heute eines der großen Rätsel der Astrophysik. Denn obwohl diese energiereichen Teilchenströme bereits im Jahr 1912 entdeckt worden sind, sind ihre Quellen bisher weitgehend unbekannt. Der Theorie nach entstehen sie, wenn Materie stark beschleunigt wird, beispielsweise durch Schwarze Löcher oder bei kosmischen Explosionen. Doch weil die größtenteils geladenen Teilchen unterwegs von Magnetfeldern abgelenkt werden, ist es bisher nicht gelungen, sie zu ihrer Quelle zurückzuverfolgen.
Neutrinos als kosmische „Botschafter“
Hier kommen nun Neutrinos ins Spiel – fasd masselose, kaum mit Materie wechselwirkende Elementarteilchen. 2013 hat der IceCube-Neutrinodetektor am Südpol erstmals das Signal von Neutrinos eingefangen, die so energiereich sind, dass sie Teil der kosmischen Strahlung sein müssen.
Der Clou dabei: Weil Neutrinos nicht geladen sind, können sie Milliarden Lichtjahre ohne nennenswerte Ablenkung durch das Weltall rasen. Verfolgt man ihre Flugbahn zum Ursprung zurück, müsste man daher ihre Quelle orten können – und damit auch eine mögliche Quelle der kosmsichen Strahlung insgesamt. Das Problem: Extrem energiereiche Neutrinos gehen den Detektoren nur extrem selten ins Netz. Daher war es bisher nur einmal gelungen, die Quelle eines solchen Teilchens zumindest einzugrenzen.
Signal im Südpol-Eis
Jetzt jedoch haben die Forscher der IceCube-Kollaboration gemeinsam mit Kollegen in aller Welt endlich einen Durchbruch erzielt. Erstmals gelang es ihnen, den Ursprung eines extrem energiereichen Neutrinos eindeutig zu bestimmen. Entscheidend dafür war ein Signal, das die im Eis versenkten Sensoren des IceCube-Detektors am 22. September 2017 registrierten.
„Das Neutrino IceCube-170922A hatte eine Energie von rund 290 Teraelektronenvolt und eine Flugbahn, die aus einem kleinen Himmelsbereich im Sternbild Orion zu kommen schien“, berichtet Azadeh Keivani von der Pennsylvania State University. Lag dort sein Ursprung? Um das herauszufinden, alarmierte IceCube verschiedene Teleskope in der ganzen Welt, die daraufhin den Himmelsbereich ins Visier nahmen.
Ursprung in fernem Blazar
Tatsächlich wurden die Astronomen fündig: Als erstes meldete das Gammastrahlen-Teleskop Fermi die mögliche Quelle: den Blazar TXS 0506+056. Dabei handelt es sich um den aktiven Kern einer fast vier Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie. In ihrem Zentrum befindet sich ein supermassives Schwarzes Loch, das Jets aus Teilchen und energiereicher Strahlung ins All hinausschleudert. Weil mindestens einer dieser Jets auf die Erde zeigt, ist er als starke Strahlenquelle nachweisbar.
Beobachtungen weiterer Teleskope im Rönten-, Radio- und optischen Bereich bestätigten, dass dieser Blazar wie ein kosmischer Teilchenbeschleuniger wirkt und unter anderem Protonen auf höchste Energie beschleunigen muss. Denn Modellen zufolge erzeugen die Wechselwirkungen dieser Protonen sowohl Gammastrahlen als auch Neutrinos – und genau diese haben die Forscher nun nachgewiesen. „Das kosmische, energiereiche Neutrino zeigt uns, dass der Blazar Protonen auf höchste Energie beschleunigt“, erklärt Elisa Bernardini von Deutschen Elektronen Synchrotron (DESY).
„Meilenstein der Astronomie“
„Mehr als ein Jahrhundert nach der Entdeckung der kosmischen Strahlung im Jahr 1912 hat IceCube damit erstmals eine konkrete extragalaktische Quelle der energiereichen Teilchen geortet“, konstatiert Marek Kowalski vom DESY. „Das ist ein Meilenstein für das junge Feld der Neutrino-Astronomie.“ Bestätigt wird dies durch weitere Neutrino-Ereignisse, die die IceCube-Forscher bei der Durchsicht alter Daten entdeckten: Von September 2014 bis März 2015 gab mehr als ein Dutzend dieser Teilchen, die ebenfalls aus Richtung von TXS 0506+056 kamen.
Diese Erkenntnisse können nun dabei helfen, weitere Quellen kosmischer Strahlung und energiereicher Neutrinos aufzuspüren: „Wir verstehen jetzt besser, wonach wir suchen müssen“, sagt Elisa Rescon von der TU München. Das große Rätsel der kosmischen Teilchenströme könnte damit bald endgültig gelöst werden – nicht zuletzt dank der astronomischen „Ringfahndung“ durch ganz unterschiedliche Observatorien.
„Damit ist die Ära der Multi-Messenger-Astronomie angebrochen“, kommentiert France Córdova von der US National Science Foundation (NSF). „Denn jeder ‚Bote‘ – von elektromagnetischer Strahlung über Gravitationswellen bis zu Neutrinos – liefert uns ein vollständigeres Bild des Universums und neue Einblicke in die energiereichsten Objekte und Ereignisse am Himmel.“ (Science, 2018; doi: 10.1126/science.aat1378; doi: 10.1126/science.aat2890)
(SCience, NSF, DESY, MPI für Physik, 13.07.2018 – NPO)