Kosmische Katastrophe: Vor acht bis zehn Milliarden Jahren erlebte unsere Milchstraße ihre vielleicht heftigste Kollision mit einer Nachbargalaxie. Die mehr als zehn Milliarden Sonnenmassen schwere Nachbargalaxie wurde dabei komplett zerrissen und veränderte auch unsere Milchstraße nachhaltig. Erst durch diese Kollision entstanden der dichte „Bulge“ im Milchstraßenzentrum und auch ein Großteil des umgebenden Halo, wie die Astronomen berichten.
Unsere Milchstraße ist ziemlich dynamischer Ort – und stark von ihrer kosmischen Umgebung geprägt. Rund die Hälfte aller Atome in unserer Galaxie könnten extragalaktischen Ursprungs sein, wie Astronomen kürzlich herausgefunden haben. Ein Großteil dieses Fremdmaterials stammt aus Verschmelzungen mit kleinen Zwerggalaxien, aber auch der anhaltende Diebstahl von Gasströmen sowie Sternen ihrer Nachbarn trägt dazu bei.
Kollision vor acht bis zehn Milliarden Jahren
Jetzt haben Astronomen um Vasily Belokurov von der University of Cambridge das möglicherweise prägendste Ereignis in der Geschichte unserer Galaxie aufgedeckt. Demnach erlebte die Milchstraße vor rund acht bis zehn Milliarden Jahren eine Kollision mit einer benachbarten Zwerggalaxie. Diese könnte mehr als zehn Milliarden Sonnenmassen an Gas, Staub und Sternen umfasst haben – und war damit größer als die meisten anderen „Zwerge“ in der Milchstraßenumgebung, wie die Forscher berichten.
Die Folgen dieses Zusammenstoßes waren katastrophal: Die Zwerggalaxie pflügte durch die Sternenscheibe der Milchstraße und fragmentierte sie teilweise. Trümmer der Kollision wurden im gesamten Innenbereich der Galaxie verteilt. „Die Kollision riss die Zwerggalaxie in Fetzen und katapultierte deren Sterne auf langgezogene, enge Orbits um das Milchstraßenzentrum“, erklärt Belokurov.
Ausgebeultes Zentrum und aufgefüllter Halo
Die Form der Milchstraße veränderte sich durch diese kosmische Katastrophe nachhaltig: Das galaktische Zentrum beulte sich durch die umhergeschleuderten Sterne aus und bildete den heute typischen „Bulge“. Ein weiterer Teil der Kollisionstrümmer schuf einen Großteil des stellaren Halo um die Sternenscheibe: Rund zwei Drittel seiner Sterne und Materie könnten aus dieser Kollision stammen, wie die Astronomen berichten.
Ein weiteres Relikt dieser letzten großen Kollision der Milchstraße sind mindestens acht große Kugelsternhaufen. „Sie besitzen charakteristisch geringevertikale und hohe radiale Geschwindigkeiten, sowie exzentrische Orbits“, berichten Belokurov und seine Kollegen. Das deute auf einen Ursprung in der Zwerggalaxie hin – und belege deren Größe. Denn Kugelsternhaufen kommen erst ab einer bestimmten Galaxiengröße vor.
„Zwar hat es viele Zwerggalaxien gegeben, die im Laufe der Milchstraßengeschichte von ihr verschluckt worden sind – aber dies war die größte von allen“, sagt Koautor Sergey Koposov von der Carnegie Mellon University.
„Wurst“ aus Sternen
Entscheidendes Indiz für die dramatische Kollision von Milchstraße und der „Sausage“ – Wurst – getauften Galaxie ist neben den Kugelsternhaufen ein Schwarm von ungewöhnlichen Sternen. Den Astronomen fielen sie und ihre seltsame Anordnung bei der Auswertung von Daten des Gaia-Satelliten der ESA auf. „Wir analysierten die Geschwindigkeiten der Sterne und die Wurstform sprang uns dabei in die Augen“, berichtet Koautor Wyn Evans von der University of Cambridge.
Diese „Gaia-Wurst“ besteht aus Sternen, die bei der Kollision von der Zwerggalaxie übrigblieben. Sie rasen alle auf engen Orbits durch die Sternenscheibe, machen aber alle in der gleichen Entfernung vom Milchstraßenzentrum eine Kehrtwendung: In einer scharfen U-Kurve wechseln sie ihre Richtung und fliegen wieder zurück. „Diese Sterne sind das, was von der letzten großen Verschmelzung der Milchstraße übrig geblieben ist“, sagt Evans. (Astrophysical Journal Letters, in press; arXiv:1802.03351, Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, in press; arXiv:1802.03414)
(Simons Foundation, 05.07.2018 – NPO)