„Verlorenes“ Drittel: Astronomen haben endlich herausgefunden, wo ein seit dem Urknall vermisster Materieanteil des Kosmos versteckt ist. Demnach verbirgt sich dieses fehlende Drittel der Baryonen in den dünnen, aber ausgedehnten Gasfilamenten, die das gesamte Unversum durchziehen. Vermutet haben Forscher dies schon länger, jetzt aber liefert das Röntgenspektrum eines Quasars den Beweis, wie die Astronomen im Fachmagazin „Nature“ berichten.
Die normale Materie – von Forschern als Baryonen bezeichnet – ist in unserem Kosmos in der Minderheit: Nur rund fünf Prozent macht sie aus, der Rest sind Dunkle Materie und Dunkle Energie. Doch selbst von diesen unter anderm über die kosmische Hintergrundstrahlung ermittelten fünf Prozent schien bisher ein Teil verschwunden zu sein.
Ein Drittel fehlt
Alle bisher in Galaxien, dem interstellaren Gas sowie in Galaxienhalos und Galaxienclustern nachgewiesene Materie macht nur rund 20 Prozent von dem aus, was kurz nach dem Urknall noch vorhanden war. Weitere rund 40 Prozent könnten sich in Gaswolken zwischen den Galaxien verbergen. Wo aber ist das restliche Drittel?
„Die fehlenden Baryonen repräsentieren eines der größten Rätsel der modernen Astrophysik“, erklärt Erstautor Fabrizio Nicastro vom Astrophysikalischen Observatorium in Rom. „Wir wissen, dass diese Materie irgendwo dort draußen sein muss, weil wir sie im frühen Universum sehen. Aber wir können sie nicht mehr finden.“
Extrem heiß und unglaublich dünn
Schon länger haben Astronomen den Verdacht, dass sich die fehlenden Baryonen in den kosmischen Filamenten verstecken könnten. Diese riesigen, kaum sichtbaren Gasfäden durchziehen das ganze Universum, sind aber nur schwer zu erforschen. Denn die Gasdichte in diesen Filamenten ist extrem gering und Teile dieses Gases sind so stark ionisiert und aufgeheizt, dass sie für Teleskop nahezu unsichtbar werden.
„Dieses intergalaktische Medium enthält Gasfilamente, die Temperaturen von mehreren tausend bis zu einigen Millionen Grad aufweisen“, sagt Koautor Michael Shull von der University of Colorado in Boulder. Will man dieses Gas nachweisen, muss man kosmische Helfer aquirieren: Quasare. Das starke Röntgenlicht dieser fernen Galaxienkerne durchstrahlt die Gasfilmente von hinten. Dabei hinterlassen die Gasteilchen charakteristische Signaturen im Röntgenspektrum dieses Lichts.
Signatur im Röntgenlicht
Jetzt ist es Nicastro und seinem Team gelungen, diese Signaturen mithilfe des ESA-Röntgenteleskops XMM-Newton einzufangen. Dafür hatten sie zwei Jahre lang immer wieder einen mehr als vier Milliarden Lichtjahre entferten Quasar anvisiert – so lang wie nie zuvor mit einem Röntgenteleskop. Und tatsächlich: „Nachdem wir die Daten durchkämmt hatten, fanden wir die Signatur von Sauerstoff an zwei Stellen entlang der Sichtlinie“, so Nicastro.
Das Entscheidende dabei: Der heiße, ionisierte Sauerstoff hat eine Dichte, die hochgerechnet ziemlich genau der fehlenden Materie entspricht, wie die Forscher berichten. „Dort liegen offensichtlich große Reservoire von Material, darunter Sauerstoff, und dies in ziemlich genau den Mengen, die wir erwartet haben, sagt Nicastro. „Damit können wir nun endlich die Lücke im Baryonen-Budget des Universums schließen.“
Endlich gefunden!
Nach mehr als 20 Jahre der Suche könnte die Astronomen damit endlich das fehlende Materiedrittel des Universums aufgespürt haben. Demmnach verstecken sich diese Baryonen wie vermutet im sogenannten Warm-Hot Intergalactic Medium (WHIM) der kosmischen Filamente. Noch allerdings müssen weitere Messungen an anderen Stellen des Kosmos sicherstellen, dass dieser Fund kein Sonderfall ist, sondern tatsächlich universell.
Doch die Astronomen sind zuversichtlich: „Wir haben die fehlenden Baryonen gefunden“, ist sich Koautor Michael Shull von der University of Clorado in Boulder sicher. Wie er erklärt, ist dies nicht nur für das Baryonenrätsel wichtig, sondern auch für unsere Vorstellungen des Universums: „Der Baryonen-Zensus von Wasserstoff, Helium und allen andern Elementen ist eine der Säulen von Tests der Urknalltheorie“, so der Forscher.
Neue Fragen
Die Entdeckung wirft aber auch neue Fragen auf: „Wie gelangt diese Materie von den Sternen und Galaxien so weit hinaus in den intergalaktischen Raum?“, fragt Koautor Charles Danforth von der University of Colorado. „Offenbar geht zwischen diesen Regionen etwas vor, dessen Details wir bisher noch kaum verstehen.“ Sein Kollege Norbert Schartel von der ESA ergänzt: „Jetzt, da wir die Baronen endlich gefunden haben, können wir es kaum erwarten, sie näher zu erforschen.“ (Nature, 2018; doi: 10.1038/s41586-018-0204-1)
(ESA, University of Colorado, 21.06.2018 – NPO)