Nicht risikofrei: Auch in Deutschland bebt immer wieder die Erde. Wie hoch das Risiko ist und wie stark die Erschütterungen in verschiedenen Gebieten werden können, haben nun Geoforscher in einer neuen Karte zusammengefasst. Überraschend dabei: Viele der für frühere Karten berücksichtigten Erdbeben erwiesen sich bei jetziger Prüfung als „Fake-Quakes“ – als Erschütterungen durch Stürme und andere Nichtbeben-Ereignisse.
Deutschland liegt zwar nicht an einer Plattengrenze, dennoch kann es auch bei uns tektonische Spannungen im Untergrund und damit Erdbeben geben. Einer der Gründe: Im Untergrund gibt es alte Verwerfungen, wie den Rheingraben, und inaktive Vulkangebiete wie den Vogelsberg oder die Vulkaneifel. Sie bilden lokale Schwächezonen, in denen sich Spannungen innerhalb der Eurasischen Platte aufstauen und entladen können.
„Die Seismizität ist in Deutschland zwar niedrig, wenn man sie mit den Plattenrandgebieten wie dem Mittelmeer vergleicht“, erklären Gottfried Grünthal vom GeoForschungsZentrum (GFZ) Potsdam und seine Kollegen. „Sie ist aber nicht so gering, dass man auf Erdbebenschutz verzichten kann. Denn ein signifikanter Anteil von Deutschlands Industrie, Infrastruktur und Ballungsräumen liegt in Gebieten mit erhöhter Seismizität.“
Geologische Daten und historische Aufzeichnungen
Wo potenzielle Erdbebengebiete in Deutschland liegen und wie hoch das Risiko und die voraussichtliche maximale Erschütterung ist, wird schon seit längerem auf speziellen Karten ausgewiesen. Diese bilden die Grundlage für lokale Baunormen, die sicherstellen sollen, dass Gebäude und andere Strukturen nicht bei einem Beben einstürzen.
Jetzt gibt es eine aktualisierte Neuauflage dieser Gefährdungskarten. Grünthal und seine Kollegen haben dafür erneut Daten und Aufzeichnungen zu Erdbeben der letzten rund 1.000 Jahre in Mitteleuropa ausgewertet sowie tektonische und geologische Gegebenheiten analysiert. „Wir haben jetzt noch verlässlichere Gefahreneinschätzungen als bisher, die in deutsche und europäische Baunormen eingehen werden“, sagt Fabrice Cotton vom GFZ. „Diese Neueinschätzung wird weitreichende wirtschaftliche Folgen haben.“
Risikozone Rheingraben
Im Großen und Ganzen stimmen die Risikogebiete mit früheren Karten überein: Am häufigsten und stärksten bebt die Erde entlang des Rheingrabens, einer alten Bruchzone der Erdkruste. Diese Schwächezone erstreckt sich quer durch Europa vom Mittelmeer bis nach Skandinavien. „Die stärksten horizontalen Spannungen treten hier vorwiegend in Nordwest-Südost-Richtung auf“, so die Forscher.
Entlang des Rheingrabens sind schon früher stärkere Erdbeben aufgetreten. „Beispiele im unteren Rheingraben sind im Jahr 1756 ein Beben der Magnitude 5,9 bei Düren, eines der Magnitude 5,7 im Jahr 1878 bei Tollhausen und das Beben der Stärke 5,3, das sich 1992 bei Roermond ereignete“, berichten die Wissenschaftler.
Auffallend ist zudem ein Hotspot des Erdbebenrisikos südlich von Stuttgart in der Schwäbischen Alb. „Ein bemerkenswertes Beispiel für diesen Aktivitätsfleck ist das Hohenzollernalb-Erdbeben des Jahres 1911 mit einer Magnitude von 5,7“, so die Forscher.
Auch Mitteldeutschland ist Bruchzone
Der Südosten Deutschlands ist ebenfalls Erdbebengebiet: „Eine besondere Zone erhöhter seismischer Aktivität liegt in Mitteldeutschland und umfasst den Westen Sachsens und den Osten Thüringens. Sie reicht südlich bis nach Tschechien und Bayern hinein“, so Grünthal und seine Kollegen. Auch in dieser Risikozone hat es früher häufiger Erdbeben der Magnitude 5 gegeben, wie die Kartierung ergab.
Ursache der mitteldeutschen Erdbebenzone ist ein System von Verwerfungen in Nord-Südrichtung, die vom Vogtland im Süden bis in das Gebiet um Leipzig hinaufreichen. Die Spuren dieser tektonischen Brüche sind sogar in Satellitenbildern zu erkennen, wie die Forscher berichten.
Abe auch der Rest Deutschlands ist nicht komplett bebenfrei: „Eine diffuse Seismizität tritt außerhalb der beschriebenen Erdbebenzonen in allen Teilen Deutschlands auf“, so Grünthal und seine Kollegen. „Wirtschaftlich relevante seismische Ereignisse sind daher im Prinzip überall zu erwarten.
Bis zu 60 Prozent „Fake-Quakes“
Das Überraschende jedoch: Die Überprüfung der historischen Erdbebendaten ergab, dass längst nicht alle früheren Erdbeben wirklich welche waren. „Überraschenderweise haben wir viele ‚Fake Beben‘ gefunden“, berichtet Grünthal. „Mehr als sechzig Prozent der im bisherigen deutschen Erdbebenkatalog aufgeführten Schadenbeben haben in manchen Gebieten nie stattgefunden.“
Statt echter Beben handelte es sich bei diesen „Fake-Quakes“ meist um Erschütterungen durch plötzliche Bodensenkungen, starke Stürme oder auch eine falsche räumliche Zuordnung weiter entfernter Bebenereignisse, wie die Forscher feststellten. „Spätere Chronisten oder Autoren verschiedener Erdbebenkataloge haben die Fehler einfach übernommen“, sagt Grünthal.
Hinzu kommen noch Erdbeben, die zwar echt, aber nicht natürlich sind: Denn auch menschliche Aktivitäten im Untergrund, wie der Bergbau, Fracking, die Gasspeicherung oder Geothermiebohrungen können Erdbeben auslösen. „Das Auftreten dieser induzierten seismischen Ereignisse ist stark zeitabhängig“, erläutert Grünthal. „Sie können mit dem Abschluss der Aktivitäten enden oder werden durch technische Verbesserungen in ihrer Intensität vermindert.“ Das ist einer der Gründe, weshalb diese induzierten seismischen Ereignisse nicht in die Berechnungen eingingen. (Bulletin of Earthquake Engineering, 2018; doi: 10.1007/s10518-018-0315-y)
(Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ, 15.06.2018 – NPO)