Hoffnung für künftige Leukämiepatienten: Forschern ist es gelungen, eine Art künstliches Knochenmark zu entwickeln. Es besteht aus einem Gewebe menschlicher Zellen auf einem 3D-Gerüst aus synthetischem Material. Das Entscheidende dabei: In dieser Struktur blieben menschliche Blutstammzellen über längere Zeit funktionsfähig und konnten sich vermehren, ohne ihre Fähigkeit zu Bildung verschiedener Blutzellen zu verlieren, wie die Forscher berichten. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für den künftigen Einsatz eines solchen Ersatz-Knochenmarks.
Das Knochenmark ist für uns überlebenswichtig, denn hier werden täglich mehrere Milliarden neuer Blutzellen gebildet, darunter rote Blutkörperchen und Abwehrzellen. Für den ständigen Nachschub sorgen dabei Blutstammzellen, die sich in speziellen Nischen im Knochenmark befinden. Sie können sich selbst vermehren und zu den verschiedenen Blutzelltypen ausreifen. Doch bei Blutkrebs ist dieser Prozess gestört oder entartet. Meist muss dann mittels Chemotherapie das körpereigene Knochenmark samt seiner entarteten Zellen zerstört werden. Bisher waren solche Patienten auf eine Knochenmarksspende angewiesen.
Doch schon seit mehreren Jahren versuchen Forscher, natürliches Knochenmark im Labor nachzubauen – mit bisher mäßigem Erfolg. Denn in herkömmlichen In-vitro-Modellen verlieren die Blutstammzellen oft die Fähigkeit, sich zu vermehren und in verschiedene Arten von Blutzellen zu differenzieren.
Keramikgerüst mit menschlichen Zellen
Jetzt ist Paul Bourgine von der ETH Zürich und seinen Kollegen in diesem Punkt ein wichtiger Fortschritt gelungen. Sie haben eine neuartige künstliche Knochenmarknische entwickelt, in der sich die Stamm- und Vorläuferzellen über mehrere Tage vermehren konnten. Dafür konstruierten sie zunächst eine knochenmarksähnliche, poröse 3D-Struktur aus Keramik, das als Stützgerüst und „Lebensraum“ für die Blutstammzellen dienen sollte.
Dieses synthetische Stützgerüst setzten die Forscher in einen speziellen Bioreaktor und kultivierten es gemeinsam mit menschlichen Bindegewebs- und Knochenzellen. So entstand eine Struktur, die von einer extrazellulären Matrix überzogen ist, in die sich Zellen einfügen können. „Das resultierende Gewebe zeigt funktionelle und strukturelle Merkmale des menschlichen Knochenmarks und kann dadurch Blutstammzellen beherbergen“, berichten Bourgine und seine Kollegen.
Neue Heimat für Blutstammzellen
Um zu testen, ob Blutstammzellen in dieser künstlichen Knochenmarksnische gedeihen können, gaben die Forscher dann hämatopoetische Stamm- und Vorläuferzellen dazu. Es zeigte sich: Die Zellen siedelten sich in der neuen Umgebung an und vermehrten sich auch – ohne dass sie ihre Fähigkeit zur Ausdifferenzierung in verschiedenen Blutzellen komplett verloren.
„Dies war verknüpft mit einer Kompartimentalisierung der Zelltypen im Bioreaktor: Die fertigen Blutzellen wurden in die Flüssigkeit entlassen, während die Blutstammzellen vorwiegend in dem künstlichen Knochenmarksgewebe siedelten und dort mit dem Bindegewebe wechselwirkten“, berichten die Forscher. Die Zellen im Bioreaktor verhielten sich damit ganz ähnlich wie im echten Knochenmark.
Plattform für neue Therapie-Optionen?
Nach Ansicht der Wissenschaftler eröffnet ihre Entwicklung eine wertvolle Plattform, um die Blutzellbildung zu erforschen, aber auch, um neue Therapien gegen Blutkrebs zu entwickeln. So könnte man mithilfe dieser künstlichen Knochenmarksnische beispielsweise testen, ob ein bestimmtes Medikament bei einem Patienten oder Krebstyp anschlägt.
„Mit Knochen- und Knochenmarkzellen von Patienten könnten wir Bluterkrankungen wie zum Beispiel Leukämien in vitro modellieren. Und zwar in einem Umfeld, das ausschließlich aus menschlichen Zellen besteht und das idealerweise personalisierte, individuelle Gegebenheiten einbezieht“, erläutern die Koautoren Ivan Martin von der Universität Basel und Timm Schroeder von der ETH Zürich. Noch allerdings steckt ihr System erst in den Anfängen. Bis zu einer Anwendung in der Klinik kann es daher noch einige Zeit dauern. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2018; doi: 10.1073/pnas.1805440115)
(Universität Basel, 05.06.2018 – NPO)