Physik

Violinen: Stradivaris „singen“ wie Tenöre

Italienische Geigen ahmen Klangspektrum der menschlichen Stimme nach

Violinen von Stradivari wird ein ganz besonderer Klang nachgesagt. © Metropolitan Museum of Art

Stimme als Vorbild: Der Wohlklang der berühmten Geigen von Stradivari und Amati kommt nicht von ungefähr, wie eine Analyse ihres Klangspektrums enthüllt. Die alten Geigenbaumeister konstruierten ihre Violinen demnach bewusst so, dass sie wie die menschliche Singstimme klingen. Interessant auch: Der Klang der frühesten Geigen ähnelt eher der männlichen Bariton- und Bassstimme. Stradivari dagegen imitierte mit seinen Instrumenten die etwas höhere Tenor- und Altstimme.

Ob Stradivari, Amati oder Guarneri – die Violinen aus der Blütezeit des italienischen Geigenbaus gelten bis heute als besonders wohltönend. Worin das Geheimnis ihres Klangs liegt, ist jedoch bis heute nur in Teilen geklärt. So scheinen unter anderem die Form des Schallochs sowie das Holz und seine Vorbehandlung eine wichtige Rolle zu spielen. Auch ein Pilzbefall des Holzes trägt zum Wohlklang der Instrumente bei.

„Wie die perfekteste menschliche Stimme“

Doch was zeichnet den besonderen Klang dieser Geigen aus? Eine Hypothese dazu hatte bereits vor gut 250 Jahren der italienische Komponist und Violin-Pädagoge Geminiani: 1751 schrieb er, dass der ideale Geigenklang „der perfektesten menschlichen Stimme nahekommen soll.“ Könnte darin das Geheimnis der Amati und Stradivari-Violinen liegen?

Um das herauszufinden, haben Hwan-Ching Tai von der Nationalen Universität Taiwan und seine Kollegen den Klang von sechs Stradivaris, einer Geige von Andrea Amati und acht weiteren Violinen aus der Blütezeit des italienischen Geigenbaus analysiert. Sie verglichen das Klangspektrum mit dem von acht weiblichen und männlichen Sängern, die jeweils eine chromatische Tonleiter auf verschiedenen Vokale sangen.

Amati-Violinen klingen wie ein Bariton

Das Ergebnis: Tatsächlich ähnelt das Klangspektrum der alten Violinen stark dem der menschlichen Singstimme, wie die Forscher herausfanden. Geigenklang und Stimme gleichen sich dabei vor allem in vier wesentlichen Formanten – den Frequenzbereichen, die durch Resonanzeffekte besonders hervortreten. An ihnen erkennen wir beim Gesang unter anderem das Geschlecht des Sängers und welche Vokale er gerade singt.

Die Violinen von Amati und einem seiner Schüler klingen demnach wie eine männliche Bariton- und Bassstimme, die ein offenes „e“ singt. „Die frühen Geigenbaumeister in Cremona und Brescia konstruierten ihre Geigen offenbar bewusst so, dass sie die männliche Stimme nachahmten“, so Tai und seine Kollegen. Das erscheine plausibel, weil zur damaligen Zeit die meisten öffentlich auftretenden Sänger Männer waren.

Das Klangspektrum von Stradivari-Geigen liegt etwas höher als das anderer Violinen aus der Blütezeit des italienischen Geigenbaus. © Tai et al./ PNAS

Stradivaris „singen“ in Tenor und Alt

Anders jedoch Stradivari, der gut 100 Jahre nach Amati lebte. „Stradivari verschob die Resonanzpunkte bei seinen Violinen nach oben“, berichten die Forscher. „Seine Violinen klingen dadurch eher wie eine Tenor- oder Altstimme und sind der weiblichen Stimme näher als die älteren Geigen.“ Gleichzeitig ist ihr Ton offener und ähnelt daher eher einem Vokal, der weiter vorne im Mund gesprochen wird.

Nach Ansicht der Forscher könnte dies erklären, warum der Klang von Stradivaris oft als besonders brillant, hell und gleichzeitig rund beschrieben wird. Stradivari selbst könnte mit dieser Anpassung des Klangspektrums einem Trend der Zeit gefolgt sein. Denn ab Anfang des 17. Jahrhunderts begannen auch weibliche Sängerinnen aufzutreten und erfreuten sich wachsender Beliebtheit. „Die akustische Entwicklung von Amati zu Stradivari könnte diese zunehmende Popularität von Sängerinnen widerspiegeln“, sagen Tai und seine Kollegen.

In jedem Falle demonstrieren diese Ergebnisse, dass Geminiani mit seiner Beschreibung von „idealen Geigen“ Recht hatte: Sie sind der menschlichen Stimme tatsächlich besonders ähnlich. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2018; doi: 10.1073/pnas.1800666115)

(PNAS, 23.05.2018 – NPO)

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