Von Migrationen geprägt: Südostasien hat in seiner Frühgeschichte drei große Einwanderungswellen erlebt, wie DNA-Vergleiche enthüllen. Im Gegensatz zu Europa vermischten sich die Gene dieser prähistorischen Immigranten aber nur zum Teil – das spiegelt sich bis heute im genetischen Erbe der Menschen wider, wie die Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten. Die Migrationen könnten aber auch erklären, warum in Südostasien heute zwei große Sprachfamilien vertreten sind.
Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Migrationen: Sowohl Europa als auch Nordamerika erlebten bereits in der Frühgeschichte mehrfache Einwanderungswellen, die bis heute Spuren in Erbgut und Kultur der Bevölkerung hinterlassen haben.
Rätselfall Südostasien
Für Südostasien jedoch ist die Besiedlungsgeschichte bisher nur in Teilen geklärt. So zeugen prähistorische Handabdrücke auf Sulawesi davon, dass der Homo sapiens seit mindestens 40.000 Jahren in dieser Region lebte. Australien dagegen scheint der moderne Mensch sogar schon vor rund 65.000 Jahren erreicht zu haben. Doch wie die Geschichte weiterging und woher beispielsweise die ersten Bauern kamen, war strittig. Auch der Ursprung der Sprachen in dieser Region blieb offen.
Jetzt haben Mark Lipson von der Harvard Medical School in Boston und seinen Kollegen die komplexe Besiedlungsgeschichte Südostasiens auf genetischer Basis rekonstruiert. Für ihre Studie hatten sie das Erbgut von 18 Toten analysiert und verglichen, die vor 4.100 bis 1.700 Jahren in Vietnam, Thailand und Kambodscha lebten.
Drei große Einwanderungswellen
Das Ergebnis: Südostasien erlebte in seiner Frühgeschichte mindestens drei große Einwanderungswellen. Die erste ereignete sich vor rund 45.000 Jahre und brachte vor allem Jäger und Sammler vom asiatischen Festland in die Region. Dann, vor rund 4.500 Jahren, wanderten frühe Bauern aus China ein und brachten die Landwirtschaft nach Südostasien. Diese Revolution der Lebensweise kam demnach dort deutlich später als in Europa, wie die Forscher berichten.
Die dritte Einwanderungswelle schließlich folgte in der Bronzezeit: Wieder waren es Volksgruppen aus China, die vor rund 3.200 Jahren in Myanmar, vor 2.000 Jahren in Vietnam und innerhalb der letzten 1.000 Jahre in Thailand ankamen. Im Gegensatz zu den Migrationswellen in Europa jedoch vermischten sich die verschiedenen Einwanderer in Südostasien nur wenig, ihre Nachfahren sind noch heute an ihrer DNA zu erkennen, wie die Analysen ergaben.
Wenig vermischt
„Noch heute leben Menschen in der Region, die quasi direkte Nachfahren der drei ursprünglichen Bevölkerungsgruppen sind, darunter auch Personen mit Vorfahren unter den Jägern und Sammlern, die heute in Thailand und Malaysia, sowie auf den Philippinen und den Andamanen leben“, erklärt Lipsons Kollege David Reich. „Im Vergleich dazu trägt in Europa heute niemand mehr als nur einen Bruchteil des genetischen Erbes der europäischen Jäger und Sammler in sich.“
Nach Ansicht der Forscher ist die geringere Gen-Vermischung in Südostasien durch die späte Ankunft von zwei der drei Migrationswellen zu erklären. Weil gerade die steinzeitlichen Bauern erst vor 4.500 Jahren einwanderten, blieb viel weniger Zeit für eine Ausbreitung und Vermischung. In Europa dagegen begann die Jungsteinzeit bereits vor rund 8.000 Jahren – und selbst dort dauerte es in einigen Regionen tausende von Jahren, bis sich heimische Jäger und Sammler und eingewanderte Bauern mischten.
Erklärung für heutiges Sprachengemisch
Spannend sind die neuen Gendaten aber auch, weil sie das seltsame Sprachengemisch in Südostasien erklären könnten. So gehören das Vietnamesische und die Khmer-Sprachen Kambodschas zur austroasiatische Sprachfamilie. Auch einige kleinere Volksstämme in Laos, Myanmar und Thailand sprechen eine dieser sprachen. Doch der Rest Südostasiens, darunter die Bewohner Indonesiens und der Philippinen sprechen austronesische Sprachen– eine im gesamten Südpazifikraum beheimatete Sprachfamilie.
Diese Sprachenteilung könnte nach Ansicht der Forscher vor allem auf die zweite Einwanderungswelle zurückgehen. Denn die Gendaten legen nahe, dass die aus China kommenden Bauern zur austroasiatischen Sprachgruppe gehörten. „Die ersten Bauern im Westen Indonesiens sprachen wahrscheinlich austroasiatisch – im Gegensatz zu den heute dort verbreiteten austronesischen Sprachen“, erklärt Reich. Sie kamen wahrscheinlich erst mit späteren Einwanderern auf diese Inseln.
„Unsere Studie enthüllt ein komplexes Zusammenspiel zwischen Archäologie, Genetik und Sprache, was für das Verständnis der Geschichte der südostasiatischen Bevölkerung von entscheidender Bedeutung ist“, sagt Koautor Ron Pinhasi von der Universität Wien. Der Blick ins Erbgut eröffne ein neues Fenster in die Ursprünge der Menschen, die in dieser Region lebten und heute noch leben. (Science, 2018; doi: 10.1126/science.aat3188)
(Harvard Medical School, Universität Wien, 18.05.2018 – NPO)