Medizin

Magersucht: Pränataler Einfluss?

In der Plazenta produziertes Molekül könnte spätere Anfälligkeit für Anorexie erhöhen

Möglicherweise wird die Anfälligkeit für eine Magersucht zumindest zum Teil im Mutterleib bestimmt © janula/iStock.com

Vorgeburtlicher Störfaktor? Die Anfälligkeit für eine Magersucht scheint auch vorgeburtliche Ursachen zu haben. Forscher haben ein Molekül identifiziert, dessen Präsenz in der Plazenta das Risiko einer Anorexie zu erhöhen scheint. Mäuse, deren Mütter während der Schwangerschaft erhöhte Dosen dieser Micro-RNA produzierten, waren später anfälliger für übermäßige Bewegung und Untergewicht, wie die Wissenschaftler berichten.

Magersucht ist eine vor allem bei jungen Frauen häufige psychische Erkrankung – und die tödlichste: Zehn Prozent der Betroffenen hungern sich buchstäblich zu Tode. In vielen Fällen bleiben Therapien unwirksam oder helfen nur zeitweilig. Was diese Essstörung jedoch auslöst, ist bisher weitgehend ungeklärt. Forscher gehen davon aus, dass eine Kombination aus Veranlagung und einer Vielzahl von Einflussfaktoren, darunter Stress in der frühen Kindheit, die Anfälligkeit für eine Anorexie erhöht.

„Obwohl diese Erkrankung so immens destruktiv ist und so viele junge Frauen betrifft, weiß man bisher nur wenig über ihre Ursachen – auch weil diese komplex und multifaktoriell sind“, erklären Mariana Schröder vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München und ihre Kollegen. Ihr Verdacht: Möglicherweise spielen sogar schon Einflüsse im Mutterleib eine Rolle für eine spätere Neigung zur Magersucht.

Einfluss im Mutterleib

Um das zu klären, verglichen die Forscher zunächst das Verhalten von Mäusen, die im Mutterleib erhöhten Dosen von Stresshormonen ausgesetzt waren mit ungestressten Artgenossen. Sie untersuchten, wie anfällig diese Tiere später für übermäßige Bewegung und eine Gewichtsabnahme waren – dies gilt als Modell für die Magersucht.

Das überraschende Ergebnis: Pränataler Stress scheint die Anfälligkeit für eine Anorexie nicht zu erhöhen, sondern sogar dagegen zu schützen – zumindest wenn er in bestimmten Schwangerschaftsphasen auftritt. „Die im Mutterleib gestressten weiblichen Mäuse neigen eher dazu übergewichtig zu werden, statt untergewichtig“, berichten die Forscher. „Die Männchen waren generell weitgehend resistent.“

Molekularer Risikofaktor

Doch woran liegt dies? Um das herauszufinden, untersuchten die Wissenschaftler spezielle Moleküle in der Plazenta. Diese sogenannten Micro-RNAs spielen eine entscheidende Rolle für die Genregulation – ihre Präsenz bestimmt, ob die aus einem Gen abgelesene Bauanleitung in ein Protein umgesetzt wird. Die Analysen ergaben: Eine micro-RNA, die sogenannte miR-340, war in der Plazenta der später gegen Anorexie „resistenten“ Mäuse in besonders geringer Menge vorhanden.

„Offenbar wird miR-340 durch pränatalen Stress herunterreguliert und übt dann einen protektiven Effekt gegen Anorexie aus“, so Schröder und ihre Kollegen. Umgekehrt stieg die Anfälligkeit der Mäuse für die übermäßige Bewegung, wenn der Gehalt von miR-340 während ihrer Zeit im Mutterleib künstlich erhöht wurde. „Damit haben wir einen plazentalen Mechanismus identifiziert, durch den miR-340 die Anfälligkeit für eine durch übermäßige Bewegung gekennzeichnete Magersucht beeinflusst“, konstatieren die Forscher.

Wie die Wissenschaftler feststellten, beeinflusst die Präsenz von miR-340, in welchem Maße einige für die Nährstoffversorgung des Fötus wichtige Proteine erzeugt werden. Das wiederum könnte die Hirnentwicklung des Ungeborenen beeinflussen – und damit auch die Anfälligkeit für Anorexie.

„Unsere Ergebnisse verknüpfen erstmals die Variation in der Expression einer plazentalen micro-RNA mit fötaler Programmierung und der späteren Anfälligkeit für Anorexie“, sagen Schröder und ihre Kollegen. „Das liefert wichtige Einblicke in die Entwicklungsgeschichte dieser wenig verstandenen Essstörung.“ (Nature Communications, 2018; (Max-Planck-Institut für Psychiatrie, 08.05.2018 – NPO)

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