Ausgeschalteter Schutzmechanismus: Forscher haben das Geheimnis besonders aggressiver Formen von Prostatakrebs entdeckt. Demnach verfügen Tumore mit bestimmten Mutationen über eine eingebaute Stressbremse. Sie regelt eine übermäßige Proteinsynthese in den Krebszellen herunter und schützt diese so vor stressbedingtem Selbstmord. Genau diese Bremse lässt sich durch einen experimentellen Wirkstoff aber ausschalten – ein möglicher Ansatzpunkt für neue Therapien, wie das Team berichtet.
Prostatakrebs ist eine der häufigsten Krebserkrankungen älterer Männer und die dritthäufigste Ursache für krebsbedingte Todesfälle. Wie bei anderen Tumorerkrankungen auch, zeichnen sich besonders aggressive Formen dieses Krebses durch ein rasantes Zellwachstum aus. Dabei zerstört der Tumor umliegendes Gewebe und dringt in andere Körperregionen vor: Er bildet Metastasen.
Als Teil ihrer Wachstumsstrategie besitzen viele bösartige Tumore bestimmte Genmutationen, die die Proteinsynthese ankurbeln. Dadurch wachsen die Krebszellen schneller – sie setzen sich aber auch einem großen Risiko aus. Denn diese Aktivitäten zehren enorme Mengen an Energie und das könnte einen in den Zellen eingebauten Selbstzerstörungsmechanismus auslösen. „Zu viel Proteinsynthese kann für die Zellen toxisch werden“, erklären Wissenschaftler um Hao Nguyen von der University of California in San Francisco.
Zwei fatale Mutationen
Wie also schaffen es die Zellen, mit diesem Stress umzugehen und sich weiter zu teilen? Auf der Suche nach Antworten haben sich die Forscher nun aggressive Prostatatumore genauer angesehen. Analysen hunderter menschlicher Tumore hatten gezeigt: Es sind vor allem Tumore mit Mutationen in den beiden Genen PTEN und MYC, die metastasieren und sich oftmals als tödlich erweisen – gängige Therapien wirken bei ihnen häufig nicht.
Solche Tumorformen untersuchte das Team bei Experimenten mit Mäusen. Das überraschende Ergebnis: Die Rate der Proteinsynthese war bei diesen Tumoren niedriger als bei milderen Krebsformen mit nur einer wachstumsfördernden Mutation. Wie konnte das sein? Weitere Untersuchungen offenbarten: Die Mutationen im PTEN- und MYC-Gen aktivieren offenbar ein zelluläres Qualitätskontrollsystem. Dieses System schützt die Zellen vor Stress.
Schützende Proteinbremse
Konkret überführt die Kombination der beiden Mutationen ein bestimmtes Protein in seine aktive Form P-elF2a, wie die Wissenschaftler berichten. In dieser Form wirkt das Protein wie eine molekulare Bremse: Es regelt die exzessive Proteinsynthese herunter, bevor sie für die Zellen tödlich wird. Damit stellt es im Endeffekt sicher, dass sich der Tumor immer weiter ausbreiten kann – wenn auch etwas langsamer als zuvor.
Nguyen und seine Kollegen fragten sich: Könnte die Konzentration von P-elF2a-Proteinen im Tumor als Biomarker fungieren, um den Krankheitsverlauf zu prognostizieren? Auf der Suche nach einer Antwort untersuchten sie 422 operativ entfernte Prostatatumore. Und tatsächlich: Je höher die P-elF2a-Werte in Tumoren mit bestimmten Mutationen, desto schlechter lief es für die Patienten nach der Operation.
Biomarker für den Krankheitsverlauf
So war der Krebs bei Betroffenen von Tumoren mit PTEN-Mutation und niedrigen P-elF2a-Werten in nur vier Prozent der Fälle nach zehn Jahren zurückgekehrt und breitete sich erneut aus. Dagegen entwickelten 19 Prozent der Patienten mit ähnlichen Tumoren aber hohen P-elF2a-Gehalten nach der Operation Metastasen – viele von ihnen starben im Laufe des folgenden Jahrzehnts.
Die Aktivität des P-elF2a-Proteins zu unterdrücken, müsste sich demnach günstig auf den Krankheitsverlauf auswirken, so die Erwartung der Forscher. Ihre weiterführenden Experimente zeigten: Hemmten sie das Protein mithilfe eines experimentellen Wirkstoffs namens ISRIB, lief die Proteinsynthese in Tumoren mit kombinierter PTEN- und MYC-Mutation ungebremst auf Hochtouren.
Bremse aus – Zerstörung an
Das führte schließlich sowohl bei menschlichen Zelllinien als auch bei krebskranken Mäusen zum Absterben der Tumorzellen – sie zerstörten sich selbst. Als Folge schrumpften die Tumore der Nager und die Tiere lebten deutlich länger. Wichtig dabei: Die Behandlung schadete nur den Krebszellen, nicht aber normalem Gewebe. „Die meisten Moleküle, die Krebszellen töten, töten auch normale Zellen“, sagt Nguyens Kollege Davide Ruggero. „Von ISRIB nehmen normale Zellen dagegen keinen Schaden. Denn sie nutzen diesen speziellen Mechanismus zur Kontrolle der Proteinsynthese nicht.“
Die Forscher hoffen nun, dass ihr Ansatz schon bald in klinischen Studien erprobt werden kann. „Diese Arbeit könnte zu den so dringend benötigten neuen Behandlungsstrategien für Männer mit fortgeschrittenem und therapieresistentem Prostatakrebs führen“, hofft Nguyens Kollege Peter Carroll.
Auch das Team um den nicht an der Untersuchung beteiligten Onkologen Christopher Logothetis von der University of Texas in Houston bewertet den neuen Ansatz als vielversprechend: Der nun identifizierte Mechanismus könne in Zukunft „große Auswirkungen“ auf die Therapie von Prostatakrebs haben, kommentieren sie im Fachmagazin „Science Translational Medicine“. (Science Translational Medicine, 2018; doi: 10.1126/scitranslmed.aar2036)
(AAAS/ University of California San Francisco, 03.05.2018 – DAL)