Neurobiologie

Innere Uhr beeinflusst Aggression

Verknüpfung von Uhren- und Aggressionszentrum könnte Tagesschwankungen erklären

Auch die Aggression scheint unter dme EINfluss der inneren Uhr zu stehen. © narith/ thinktock

Zirkadiane Angriffslust: Forscher haben eine Verknüpfung zwischen innerer Uhr und Aggression entdeckt. Das könnte erklären, warum aggressives Verhalten – besonders bei Demenzpatienten – oft abends schlimmer wird. Der mögliche Grund: Über gleich zwei Schaltkreise sendet die innere Uhr Signale an das Aggressionszentrum, wie Versuche mit Mäusen zeigen. Werden diese Signale blockiert oder weniger, steigt die Aggression, berichten die Forscher im Fachmagazin „Nature Neuroscience“.

Unsere innere Uhr beeinflusst nicht nur unser Müdigkeitsempfinden, auch viele Stoffwechselvorgänge, unser Immunsystem und unser Hormonhaushalt werden von diesem Tag-Nacht-Rhythmus bestimmt. Als interne Taktgeber dienen dabei spezielle Uhrengene in unseren Zellen, die mit einem zentralen Taktgeber im Gehirn synchronisiert sind – dem sogenannten suprachiasmatischen Nucleus (SCN) im Hypothalamus.

Ist Aggression abhängig von der Tageszeit?

Unklar war aber bisher, ob auch unsere Aggression von der inneren Uhr beeinflusst wird. Den Anstoß für diese Frage geben Beobachtungen bei Alzheimer-Patienten: Diese werden besonders oft am Abend unruhig und aggressiv. Dieses Phänomen ist so auffällig, dass Mediziner es „Sundowning“ getauft haben – weil es bei Sonnenuntergang auftritt. Könnte dieser auffallende zeitliche Rhythmus mit der inneren Uhr zusammenhängen? Gibt es womöglich auch bei gesunden Menschen einen Takt der Aggression, der aber bei ihnen gedämpfter ist?

Um das herauszufinden, haben William Todd von der Harvard Medical School in Boston und seine Kollegen zunächst bei Mäusen nach Hinweisen auf Schwankungen der Aggression im Tagesrhythmus gesucht. Sie provozierten Mäusemännchen, indem sie ihnen Rivalen in den Nachbarkäfig setzten und beobachteten, wie oft und wie schnell dies zu Angriffen führte.

Angriffslust abends am höchsten

Das Ergebnis: Die Mäuse zeigten einen deutlichen Rhythmus der Aggression: „Die Mäuse neigten am frühen Abend, kurz bevor das Licht ausging, stärker zu Angriffen und waren am frühen Morgen kurz nach dem Lichteinschalten am wenigsten aggressiv“, berichtet Todds Kollege Clifford Saper. „Es scheint, dass die Aggression der Mäuse sich während der hellen Periode aufbaut und dann gegen Ende des Tages einen Peak erreicht.“

Doch was steckt neurobiologisch dahinter? Wie die Forscher herausfanden, ist das Aggressionszentrum der Mäuse im Hypothalamus über gleich zwei neuronale Schaltkreise mit dem suprachiasmatischen Nucleus und damit der inneren Uhr verbunden. „Unsere Daten deuten darauf hin, dass Signale vom SCN an diese Neuronen das Angriffsverhalten entweder fördert oder hemmt“, so die Forscher.

Innere Uhr hemmt Aggression

Um herauszufinden, welches von beiden zutrifft, blockierten die Wissenschaftler bei einigen Mäusen diese Schaltkreise, bei anderen stimulierten sie sich. Das Ergebnis: Waren die Verbindungen von SCN zum Aggressionszentrum aktiv, hemmte dies die Angriffslust der Nager. Wurden sie dagegen deaktiviert, steigerte dies die Aggression der Mause auch zu den normalerweise friedlichen Zeiten am frühen Morgen und tagsüber.

Nach Ansicht der Forscher demonstrieren ihre Experimente zwei Dinge: Bei Mäusen und vielleicht auch bei uns Menschen wird die Aggressionsneigung tatsächlich von der inneren Uhr und dem Tagesrhythmus beeinflusst. „Das ist das erste Mal, dass dies belegt werden konnte“, so Todd und seine Kollegen. Dies bestätigt die schon länger diskutierten Vermutungen.

Erklärung für das Sundowning?

Zum anderen aber scheint der Einfluss der inneren Uhr primär hemmend zu sein: Je aktiver sie Signale ans Aggressionszentrum schickt, desto stärker unterdrückt dies aggressives Verhalten. „Unsere Ergebnisse bei den Mäusen gleichen denen von Alzheimer-Patienten beim Sundowning“, sagt Saper. „Das könnte darauf hindeuten, dass bei diesen Patienten die Signalwege zwischen innerer Uhr und Aggressionszentrum gestört sind.“

Sollte sich dies bestätigen, dann könnte das Wissen um diesen Effekt dabei helfen, neue Therapien für betroffene Demenzpatienten zu entwickeln, so die Hoffnung von Todd und seinen Kollegen. „Wenn wir die Veränderungen an diesen Schaltkreisen bei den Patienten untersuchen, dann könnte dies Wege zu künftigen Interventionen eröffnen – und das könnte die Lebensqualität von Patienten und ihren Angehörigen und Pflegern deutlich verbessern“, sagt Saper. (Nature Neuroscience, 2018; doi: 10.1038/s41593-018-0126-0)

(Beth Israel Deaconess Medical Center, 10.04.2018 – NPO)

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