Gigantisches Unterwasser-Gebirge: Vor Mauretanien liegt das größte Kaltwasserkorallen-Riff der Erde – es ist 400 Kilometer lang. Wie und wann es so groß wurde, haben nun Forscher herausgefunden. Demnach erlebten die Korallen besonders während der letzten Eiszeit einen enormen Wachstumsschub. Eine günstige Strömung mit sauerstoffreichem Wasser ermöglichte dies. Heute dagegen stagniert das Wachstum – aus Sauerstoffmangel.
Anders als tropische Korallen, die in warmen, lichtdurchfluteten Gewässern leben, findet man Kaltwasserkorallen in mehreren hundert bis tausend Metern Wassertiefe. Mehr als die Hälfte der heute lebenden Korallenarten kann sogar in völliger Dunkelheit in der Tiefsee existieren. Kaltwasserkorallen wachsen bevorzugt auf ihresgleichen und lassen im Laufe der Zeit riesige Strukturen am Meeresboden entstehen. Solche Kaltwasser-Riffe wurden bereits vor Yucatan, aber auch vor Norwegen und vor Mauretanien entdeckt.
Von Lebewesen geschaffenes Unterwasser-Gebirge
In Mauretanien haben nun Forscher um Claudia Wienberg vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften in Bremen das größte zusammenhängende Kaltwasserkorallen-Riff der Welt erstmals näher untersucht. Das Riff hat eine Länge von rund 400 Kilometern und erreicht Höhen von 100 Metern. „Die Größe der Hügel und die Länge dieser Strukturen ist wirklich speziell“, sagt Wienberg. „An einigen Stellen bilden die Riffe sogar zwei parallele Hügelketten.“
Das Ungewöhnliche daran: Die einzelnen Kaltwasserkorallen-Hügel vor Mauretanien sind im Laufe der Zeit zu diesem riesigen Unterwasser-Gebirge zusammengewachsen. „So etwas gibt es nirgendwo sonst in den Weltmeeren“, sagt Wienberg. „Im Grunde genommen könnte man hier tatsächlich von einem Kaltwasserkorallen-Gebirge unter Wasser sprechen.“
Wachstumsschub während der Eiszeit
Um herauszufinden, was dieses ungewöhnliche Wachstum der Kaltwasserkorallen ermöglicht hat, haben die Forscher Korallenfragmente von der Oberfläche und aus verschiedenen Tiefen des Meeresbodens gesammelt und deren Alter und Struktur bestimmt. Dadurch konnten sie nachvollziehen, wie sich die Kaltwasserkorallen vor Mauretanien in den vergangenen 120.000 Jahren entwickelten.
Das Ergebnis: Das Wachstum dieser Riffe begann bereits in der letzten Zwischeneiszeit vor rund 120.000 Jahren. Damals wuchsen die Korallen zunächst noch eher langsam um im Schnitt rund 16 Zentimeter pro tausend Jahren. Während der letzten Kaltzeit jedoch und bis zum Ende der Eiszeit beschleunigte sich dieses Wachstum auf bis zu mehr als 15 Meter pro tausend Jahren – ein echter Rekordwert, wie die Forscher berichten.
Sauerstoff als Wachstumsfaktor
Doch seit dem Ende der letzten Eiszeit stagniert das Wachstum der mauretanischen Korallenhügel. „Die mauretanischen Riffe sind heute in einem Ruhezustand mit nur wenig Korallenwachstum“, so Wienberg und ihre Kollegen. Nur in einigen Canyons zwischen den Hügeln finden sich vereinzelt noch lebende Kaltwasserkorallen.
Was aber ist der Grund für diese Stagnation? Wie die Wissenschaftler feststellten, spielt der Sauerstoffgehalt des Meerwassers eine entscheidende Rolle für das Korallenwachstum. Sinkt er unter rund einen Milliliter Sauerstoff pro Liter Wasser, können sich die Kaltwasserkorallen nicht halten.
Vor Mauretanien ist dies heute der Fall, weil die Meeresströmungen sauerstoffarmes Wasser aus dem Süden vor die Küste spülen. Früher jedoch verlief die dominierende Strömung vor Mauretanien umgekehrt und spülte sauerstoffreiches Meerwasser aus dem Norden vor die Küste. Das ermöglichte des dem Mega-Kaltwasser-Riff so stark und schnell zu wachsen.
Was bedeutet dies für die Zukunft?
Diese neuen Erkenntnisse liefern auch wichtige Informationen darüber, wie die Kaltwasserkorallen heute und in Zukunft mit den sich verändernden Meeresbedingungen klarkommen werden. „Laut wissenschaftlicher Prognosen werden sich die Zonen mit geringem Sauerstoffgehalt in den Weltmeeren weiter ausdehnen“, sagt Wienberg. „Auch wenn Kaltwasserkorallen eine hohe Toleranz zeigen, so ist dies doch ein entscheidender Stressfaktor für diese Ökosysteme der Tiefsee. Hinzu kommen die durch den Klimawandel erhöhten Wassertemperaturen sowie die zunehmende Ozeanversauerung.“ (Quaternary Science Reviews, 2018; doi: 10.1016/j.quascirev.2018.02.012)
(MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen, 03.04.2018 – NPO)