Stimmt die Struktur? Forscher haben herausgefunden, wo unser Gehirn grammatikalische Muster von Musik verarbeitet. Es handelt sich um das rechte Pendant des für die Sprachverarbeitung wichtigen Broca-Areals auf der linken Hirnseite – und wird aktiv, wenn einmal gelernte Strukturregeln von Musik verletzt werden. Damit übernimmt dieses Areal ähnliche Aufgaben wie sein Gegenüber – jedoch für Musik statt Sprache.
Musik wurde schon oft als Sprache oder zumindest eine Art von Sprache bezeichnet – und tatsächlich ist unser Hang zur Musik so tief in unserer Natur verankert, dass sie in unserem Leben mindestens eine ebenso große Bedeutung spielt wie das gesprochene Wort. Neben der emotionalen und kommunikativen Funktion hat Musik jedoch noch etwas mit Sprache gemein: Sie basiert auf einem System, in dem sich Einzelelemente wie Töne zu immer komplexeren hierarchisch strukturierten Sequenzen zusammensetzen.
Bestimmte Verknüpfungen, die solche Einzelelemente miteinander verbinden, bezeichnen Forscher als Abhängigkeiten. Dabei stellen sogenannte nicht-lokale Abhängigkeiten eine logische Verbindung zwischen zwei Elementen her, die nicht direkt nebeneinander liegen. In der Popmusik steht zum Beispiel die zweite Strophe nach dem Refrain in nicht-lokaler Abhängigkeit zur ersten Strophe.
Pendant zum Broca-Areal?
Vincent Cheung vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig und seine Kollegen haben nun untersucht, wie das Gehirn solche grammatikalischen Muster von Musik verarbeitet. Für Sprache ist bereits bekannt, dass das sogenannte Broca-Areal in der linken Hälfte des Gyrus frontalis inferior (IFG) eine wichtige Rolle dabei spielt. Es wird unter anderem dann aktiv, wenn wir Verstöße gegen unser gelerntes Grammatiksystem bemerken.
Die Wissenschaftler vermuteten, dass es ein musikspezifisches Pendant zum Broca-Areal in der rechten Hirnhälfte geben könnte. Denn Studien zeigen: Hören wir zum Beispiel Akkordfolgen, die nicht mit der uns vertrauten, westlichen Harmonik übereinstimmen, wird der rechte Bereich im IFG aktiv.
Musikalischer Grammatiktest
Um dieses Phänomen genauer zu erforschen, lud das Team Musiker zum Musikhören ein. Das Besondere: Die vorgespielten Kompositionen waren speziell für wissenschaftliche Zwecke entwickelt worden und hatten wenig mit der uns vertrauten Musik zu tun. Entscheidend war dabei, dass darunter Sequenzen waren, die einer vorgegebenen musikalischen Grammatik folgten, als auch solche ohne diese Vorgaben.
Im Experiment sollten die Probanden die von den Forschern verwendeten Strukturregeln erkennen und verinnerlichen. Mit dieser neuen Grammatik im Kopf galt es dann zu entscheiden, ob es sich bei einem Stück um grammatikalisch „richtige“ oder „falsche“ Abfolgen handelte. Mithilfe der funktionellen Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) beobachteten Cheung und seine Kollegen, welche Hirnareale dabei aktiv waren.
Aktivität bei verletzten Regeln
Das Ergebnis: Tatsächlich zeigte sich der rechte Bereich des IFG bei grammatikalisch falschen Sequenzen aktiver als bei richtigen. Interessanterweise konnten die Teilnehmer umso besser einordnen, ob die Strukturregeln der Musik verletzt wurden, je stärker bei ihnen die funktionellen Verknüpfungen zwischen dieser Region und dem Arbeitsgedächtnis ausgeprägt waren.
Wie die Forscher berichten, wurde das Arbeitsgedächtnis vor allem dann aktiver, wenn die grammatikalischen Strukturen der Komposition länger und komplizierter wurden. Das könnte ihnen zufolge darauf hindeuten, dass komplizierte Grammatik verarbeitet wird, indem Informationen aus dem Arbeitsgedächtnis mit dem rechten Pendant des Broca-Areals verknüpft werden.
Mit diesen Erkenntnissen scheint nun klar: Anders als die grammatikalische Syntax von Sprache verarbeitet unser Gehirn musikalische Grammatik vor allem im rechten IFG. Diese Region erfüllt ähnliche Aufgaben wie das Sprachzentrum – jedoch für Musik. „Unsere Studie belegt die Bedeutung des rechten IFGs für die Verarbeitung nicht lokaler-Abhängigkeiten in Musik“, schließt das Team. (Scientific Reports, 2018; doi: 10.1038/s41598-018-22144-9)
(Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, 14.03.2018 – DAL)