Das Wesentliche im Blick: Obwohl sich unsere Augen andauernd bewegen, behält unser Gehirn die wichtigen Dinge im Fokus. Wie dies gelingt, haben nun Forscher in einem Experiment mit Rhesusaffen herausgefunden. Demnach kann das Gehirn nahezu synchron zur Augenbewegung von einer Neuronengruppe zur nächsten umschalten und so die unwillkürlichen Augenbewegungen ausgleichen. Das Objekt im Fokus bleibt so ständig im Sehzentrum des Gehirns präsent, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“ berichten.
Wir bewegen unsere Augen ständig – etwa zwei- bis dreimal pro Sekunde. Erst diese sogenannten Sakkaden sorgen dafür, dass ein scharfes Bild unser Umwelt entsteht. Denn sie bewegen alle Objekte in unserem Gesichtsfeld über den hochauflösenden Bereich im Zentrum unserer Netzhaut. Das ist vergleichbar mit dem Display einer Digitalkamera: Wird die Kamera bewegt, verändert sich die Position der Objekte auf dem Bildschirm.
Im Fokus trotz Sakkaden
Doch wie gelingt es trotz dieser Sakkaden, ein Objekt im Fokus zu behalten? Beispiel Spielplatz: Während eine Mutter ihrem Kind beim Spielen zusieht, sind die Nervenzellen, die auf das Kind reagieren, besonders aktiv. Weil sich nun aber die Augen der Mutter ständig bewegen, fällt das Bild des Kindes immer auf andere Fotorezeptoren, die neue Nervenzellen im Gehirn aktivieren.
Vor der Augenbewegung reagieren demnach andere Nervenzellen auf das Bild des Kindes als nach der Augenbewegung. Um die Aufmerksamkeit trotzdem auf dem Kind zu halten, muss das Gehirn schnell zwischen den Nervenzellen umherschalten können. Es muss immer die Hirnzellen in der Sehrinde aktivieren, die als nächste das Bild des Kindes verarbeiten. Wie der Prozess zeitlich abläuft, war bislang aber unklar.
Blick in den visuellen Cortex
Um herauszufinden, wie unser Gehirn den Fokus behält, haben Tao Yao und seine Kollegen vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen die Augenbewegungen und Hirnaktivität von zwei Rhesusaffen verfolgt. Für die äußerst komplexe Aufgabe wurden die Tiere einem umfangreichen Training unterzogen.
Für den Versuch mussten sie sich auf einen Punkt auf einem Bildschirm konzentrieren, ohne ihn jedoch direkt anzusehen. Dann bewegten sie ihre Augen, hielten aber die Konzentration auf das Signal gerichtet. Mit haarfeinen, in das Gehirn der Tiere implantierten Elektroden überwachten die Forscher dabei die Aktivität von 84 Nervenzellen im visuellen Cortex, jenem Hirnbereich, der Bildinformationen verarbeitet.
Umschaltung der Neuronen ist präzise getaktet
Zunächst beobachteten die Wissenschaftler, wie sich die Aktivität der Nervenzellen eine Sekunde vor und nach einer Augenbewegung veränderte. Es zeigte sich: Bereits 800 Millisekunden vor dem Blickwechsel feuerten die bislang genutzten Nervenzellen plötzlich intensiver. Bewegten die Affen aber ihre Augen, wurde direkt die nächste Gruppe von Nervenzellen aktiviert, die nun das Signal „im Blick“ hatten. Mit dem Bild auf der Netzhaut wandert demnach auch die Aktivität der Nervenzellen.
Doch wie schnell kann das Gehirn umschalten, von einer Gruppe Neuronen zur nächsten? Dafür blickten die Wissenschaftler genauer hin, nur wenige Millisekunden vor und nach der Augenbewegung. Sie stellten fest: Bei einem Affen feuerte die zweite Neuronengruppe bereits 29 Millisekunden nach der Augenbewegung stärker als die vorige, bei dem anderen Affen dauerte es 53 Millisekunden.
Das Gehirn schaltete damit nicht nur sehr schnell, sondern auch nahezu synchron mit der Augenbewegung. „Die aufmerksamkeitsgesteuerte Verstärkung im Gehirn ist zeitlich präzise getaktet, was es uns ermöglicht, uns auf relevante Objekte zu konzentrieren, auch wenn wir unsere Augen ständig bewegen“, sagt Yao.
Von der Grundlagenforschung zum Menschen
Das visuelle System von Menschen und Affen ist sehr ähnlich aufgebaut. Die Forscher erwarten deswegen, dass sich ihre Ergebnisse gut auf das menschliche Gehirn übertragen lassen. Ihre Erkenntnisse klären nicht nur die Grundlagen des Sehens, die Wissenschaftler wollen damit auch mehr über Aufmerksamkeitsstörungen im Menschen herausfinden. Ein Beispiel ist der visuelle Neglect, bei dem Betroffene eine Hälfte ihres Sehfeldes nicht wahrnehmen, ihren Zustand aber gar nicht realisieren.
„Unsere Erkenntnisse beantworten mehrere wichtige Fragen darüber, wie sensorische und motorische Bereiche des Gehirns interagieren“, erklärt Yao. „Da Schizophrenie, visueller Neglect und andere Aufmerksamkeitsstörungen auf sensomotorischer Koordination beruhen, könnte unsere Studie dazu beitragen, diese Krankheiten besser zu verstehen.“ (Nature Communications, 2018; doi: 10.1038/s41467-018-03398-3)
(Deutsches Primatenzentrum GmbH – Leibniz-Institut für Primatenforschung, 12.03.2018 – YBR)