Geowissen

Überraschende Ursache für Untersee-Rutschungen

Auch stabile Gashydrate können submarine Hangrutschungen auslösen

Klippen an der Hinlopen-Meeresstraße. Unter der Meersoberfläche hat hier vor 30.000 Jahren eine Hangrutschung stattgefunden. © Jerzy Strzelecki/ CC-by-sa 3.0

Paradoxer Kollaps: Bisher galten auftauende Gashydrate als gefährlichste Auslöser für Untersee-Hangrutsche. Doch jetzt zeigt sich, dass diese Verbindung aus Eis und Methan solche Rutschungen gerade dann verursachen kann, wenn sie stabil bleibt. Wie Forscher bei seismischen Messungen vor Spitzbergen herausgefunden haben, kann sich unter einer solchen Schicht Methangas sammeln, das dann mit Überdruck aufsteigt und dabei den Meeresgrund destabilisiert.

Im Laufe der Erdgeschichte, aber auch in der Gegenwart kommt es immer wieder vor, dass Teile von unterseeischen Hängen den Halt verlieren und abrutschen. Spuren solcher submarinen Handrutschungen und der von ihnen ausgelösten Tsunamis haben Forscher unter anderem vor Norwegen, vor Neuseeland und Australien nachgewiesen. Bei einigen Untersee-Erdrutschen sind die Ursachen klar: Erdbeben oder Vulkanausbrüche haben den Meeresgrund destabilisiert. Aber in vielen anderen Fällen sind die Gründe weniger ersichtlich.

Gefahr durch Klimaerwärmung

Es gibt bei diesen Fällen jedoch eine Gemeinsamkeit: Viele dieser Hangrutschungen ereigneten sich dort, wo es im Meeresgrund ausgedehnte Vorkommen von Gashydraten gibt. Diese festen, eisartigen Verbindungen aus Wasser und Gasen gelten als eine Art Zement, der die Hänge unter Wasser festigt. Wenn jedoch die Temperatur des Meeresbodens steigt und der Druck nachlässt, lösen sich diese Verbindungen auf und das Methangas entweicht.

Genau dies ist zurzeit an vielen Kontinentalhängen weltweit zu beobachten, ob an der US-Ostküste, im Pazifik oder sogar im Südpolarmeer. Der Klimawandel und die damit verbundene Erwärmung von Meer und Meeresboden beginnt offenbar, die Gashydrate aufzutauen. Forscher befürchten, dass damit auch das Risiko für katastrophale Hangrutschungen steigt. Dass viele fossile Rutschungen im Bereich von Gashydratlagerstätten liegen, nährt diese Vermutung.

Wassertiefe passt nicht

Das Seltsame jedoch: „Wenn steigende Wassertemperaturen oder fallende Meeresspiegel Gashydrate destabilisieren, dann zuerst im oberen Bereich des Kontinentalhangs“, berichtet Judith Elger vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. „Die Rutschungen, deren Spuren wir kennen, wurden aber alle tiefer ausgelöst.“ Das passt nicht zu den gängigen Theorien von schmelzenden Gashydrate als Auslöser der Rutschungen.

Seismische Struktur des Meeresgrunds unter der Hinlopen-Rutschung © Elger et al./ Nature Communications, CC-by-sa 4.0

Was aber war es dann? Das haben Elger und ihre Kollegen nun an einem Unterseehang nördlich von Spitzbergen untersucht. Dort ereignete sich vor rund 30.000 Jahren die Hinlopen-Hangrutschung – in einem Gebiet direkt oberhalb eines Gashydratvorkommens. Dieses Vorkommen und die Struktur des darüberliegenden Meeresgrunds in 750 bis 2.200 Metern Tiefe haben die Forscher mittels seismischer Messungen kartiert.

Überdruck-Gasblase und Röhre

Es zeigte sich: Die Gashydrate in diesem Hang sind auf den ersten Blick zwar sehr stabil. Doch unter dieser Schicht entdeckten die Forscher eine rund 45 Meter hohe, linsenförmige Blase mit gasförmigen Methan. Ihren Messdaten zufolge herrscht in dieser Gasblase ein deutlicher Überdruck, der den umliegenden Meeresgrund und auch die darüberliegenden Gashydrate unter Druck setzt.

Auffallend war in den seismischen Daten zudem eine senkrecht nach oben durch die Gashydratschicht reichende Struktur. „Wir interpretieren dies als eine Röhre von 20 Meter Durchmesser, die von der Unterseite der Gashydratschicht bis an die Reste der Hangrutschung reicht“, berichten die Forscher. Die oben trichterförmig erweiterte Form dieser Röhre spricht ihrer Ansicht nach dafür, dass unter Überdruck stehendes Gas sich einst diese Leitung gebahnt hat.

Mögliche Abfolge der Ereignisse © Elger et al./ Nature Communications, CC-by-sa 4.0

Methangas bricht sich Bahn

Wie diese Strukturen zustande kamen und was dies mit der alten Hangrutschung zu tun haben könnte, haben die Wissenschaftler mit einem geophysikalischen Modell untersucht. Das Ergebnis: Nicht tauende Gashydrate, sondern im Gegenteil eine zu stabile Hydratschicht könnte damals Ursache des katastrophalen Untersee-Erdrutsches gewesen sein. „Unsere Daten zeigen, dass ausgerechnet stabile Gashydrate indirekt das Sediment über ihnen destabilisieren können“, sagt Elger.

Das Szenario: Wenn die Gashydrate eine feste, undurchlässige Schicht im Meeresboden bilden, sammeln sich darunter im Laufe der Zeit freies Gas und Flüssigkeiten. Es entsteht ein Überdruck, der Risse in die Hydratschicht reißen kann. In diesen Rissen steigt das Gas schnell und mit hohem Druck auf und destabilisiert dadurch das über den Gashydraten liegende Sediment. Ist der Meeresboden an diesem Hang ohnehin wenig stabil, setzt er sich in Bewegung – eine Hangrutschung ist die Folge.

„Realistische Alternative“

„Wir konnten zeigen, dass dieser Prozess im Fall der Hinlopen-Rutschung eine realistische Alternative zu anderen vermuteten Prozessen ist – völlig unabhängig von klimatischen Veränderungen“, sagt Elger. Zudem könnte dieses Szenario erklären, warum sich viele submarine Hangrutschungen in größerer Tiefe lösen als bei einem Abtauen der Gashydrate wahrscheinlich.

„Weitere Studien, die seismische Daten und geotechnische Laborversuche kombinieren, müssen jetzt zeigen, ob auch an anderen historischen Rutschungen ähnliche Rissstrukturen im Meeresboden nachgewiesen werden können und ob es sich damit um ein verbreitetes Phänomen handelt“, so die Forscherin. (Nature Communications¸2018; doi: 10.1038/s41467-018-03176-1)

(GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, 21.02.2018 – NPO)

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