Seit 40 Jahren gesucht: Physiker könnten im Teilchenbeschleuniger LHC erstmals „Odderons“ aufgespürt haben – bisher nur theoretisch postulierte Quasiteilchen. Diese entstehen, wenn kollidierende Protonen statt einer geraden eine ungerade Anzahl von Gluonen untereinander austauschen. Messdaten des TOTEM-Detektors am LHC sprechen nun dafür, dass solche Odderons bei den energiereichen Kollisionen im Ring gebildet wurden.
In der Welt der Elementarteilchen gibt es nicht nur echte Partikel wie Quarks, Protonen oder Elektronen, sondern auch Quasiteilchen. Sie bestehen aus Ansammlungen kleinerer Teilchen, die sich verhalten wie aus einem Guss: Für kurze Zeit besitzen sie beispielsweise eine gemeinsame Masse, Energie oder Wellenlänge und reagieren auf einen Impuls wie ein Partikel. Zu solchen Quasiteilchen gehören beispielsweise kurzlebige Paarungen aus einem Teilchen und seinem Antiteilchen, die Weyl-Fermionen in kristallen, aber auch Quantentröpfchen in Halbleitern.
Fliegender Gluonen-Austausch
Jetzt könnten Physiker am CERN einen besonders exotischen und lange gesuchten Vertreter solcher Quasiteilchen aufgespürt haben: das Odderon. Dieses entsteht, wenn Protonen so kollidieren, dass sie dabei nicht völlig zerstört werden. Dabei treten Wechselwirkungen auf, durch die Gluonen – die Kraftteilchen der starken Kernkraft – zwischen den Protonen ausgetauscht werden.
„Die Protonen interagieren wie zwei Autotransporter bei einem Unfall auf der Autobahn“, erklärt Timothy Raben von der University of Kansas. „Wenn diese Lastwagen kollidieren, bleiben sie selbst stark beschädigt erhalten, die auf ihnen befestigten Autos aber werden weggeschleudert.“ Im Fall der Protonenkollision wurden dabei bisher immer nur gerade Anzahlen von ausgestoßenen Autos – Gluonen – beobachtet.
Ungerade statt gerade?
Doch schon vor gut 40 Jahren postulierten Physiker, dass es auch einen Austausch mit einer ungeraden Menge Gluonen geben muss. Weil sich diese Gluonen zusammen wie nur ein Teilchen verhalten, bekamen sie den Namen „Odderon“ – von englisch „odd“ für ungerade. „Wir haben seit den 1970er Jahren nach ihnen gesucht“, sagt Rabens Kollege Christophe Royon. Doch die Leistung der Teilchenbeschleuniger reichte nicht aus, um die Odderons nachzuweisen.
Bis jetzt. Denn seit Beginn der zweiten Laufzeit im Large Hadron Collider (LHC) am CERN kann dieser Protonen mit der Energie von 13 Teraelektronenvolt aufeinanderschießen. Während die meisten Kollisionen dabei zur Zerstörung des Protons führen, ist der am Beschleunigerring sitzende TOTEM-Detektor darauf ausgelegt, die Protonen abzufangen, die die Kollisionen nur leicht abgelenkt überstehen.
Verräterische Signaturen
Zwar kann auch der TOTEM- Detektor die Odderons nicht direkt nachweisen. Aber es gibt bestimmte Auffälligkeiten im Strahlverhalten, die ihre Existenz anzeigen können. „Wenn man wirklich hohe Energien hat, dann hinterlassen sie Signaturen, die man messen kann“, erklärt Raben. Genau diese Signaturen könnten die Physiker des TOTEM-Experiments nun registriert haben.
Wie die Forscher berichten, gibt es in den Daten der zweiten Laufzeit Hinweise darauf, dass bei den Protonenkollisionen ungerade Mengen von Gluonen ausgetauscht wurden. „Wir haben Messwerte, die mit dem traditionellen Modell der geraden Gluonenzahl nicht kompatibel sind“, berichtet Royon. Wie er erklärt war dafür der sogenannte Rho-Parameter entscheidend, ein Wert, der sich aus dem Verhältnis verschiedener Signaturen bei Kollisionen mit unterschiedlich hohen Energien ergibt.
„Dunkle Stellen im Standardmodell“
„Wir haben damit vielleicht zum ersten Mal den Austausch einer ungeraden Zahl von Gluonen beobachtet“, sagt Royon. „Die TOTEM-Resultate passen zu den theoretischen Modellen eines Austauschs von drei farblosen Gluonen in gebundenem Zustand.“ Es könnten aber auch fünf, sieben oder sogar mehr Gluonen ausgetauscht worden sein. Noch sind die Daten allerdings nicht eindeutig genug, um offiziell von einer Entdeckung oder einem Nachweis zu sprechen.
Sollte sich der Nachweis des Odderons aber bestätigten, dann könnte dies wertvolle neue Einblicke in die subatomaren Wechselwirkungen liefern. „Das widerlegt deshalb nicht gleich das ganze Standardmodell, betont Raben. „Aber es gibt darin noch einige undurchsichtige Bereiche – und einen davon könnten wir mit unseren Ergebnissen jetzt ein wenig erhellt haben.“
(University of Kansas, 05.02.2018 – NPO)