Ökologie

Droht der Kollaps mariner Nahrungsnetze?

Forscher warnen vor Zusammenbruch ganzer Nahrungsnetze durch den Klimawandel

Steht Tieren wie Fischen durch den Klimawandel bald weniger Nahrung zur Verfügung? © Global Pics/ iStock.com

Mariner Zusammenbruch: Wegen des Klimawandels könnten ganze Nahrungsnetze in den Meeren kollabieren, warnen Forscher. Denn ihre Experimente zeigen: Wird das Wasser wärmer und saurer, dominieren auf der Ebene der Produzenten in bestimmten Ökosystemen vorwiegend Cyanobakterien. Diese Organismen können von den Tieren der nächsten Stufe des Nahrungsnetzes jedoch nicht verwertet werden – es droht ein Energiemangel im gesamten System.

Ob an Land oder im Ozean: Jeder tierische und pflanzliche Organismus steht in der Lebensgemeinschaft eines Ökosystems in wechselseitiger Beziehung zu anderen Lebewesen. Oft geht es dabei ums Fressen und Gefressenwerden. Die Basis solcher Nahrungsketten oder -netze bildet im Meer mit seinem Wachstum und Zerfall das Phytoplankton.

Diese winzigen Organismen sichern als Produzenten die Ernährung von tierischen Kleinstlebewesen, von denen sich wiederum größere Tiere wie Fische ernähren. Diese stellen ein wichtiges Futter für marine Fleischfresser wie Robben dar, die schließlich von noch größeren Räubern wie Haien verspeist werden. „Gesunde Nahrungsnetze im Meer sind wichtig für die Artenvielfalt. Außerdem stellen sie eine Einnahme- und Nahrungsquelle für den Menschen dar“, sagt Hadayet Ullah von der University of Adelaide in Australien.

Beispiel Australien

Das Zusammenspiel von Produzenten, Pflanzen- und Fleischfressern funktioniert allerdings nur, wenn es fein austariert ist. Steigende Temperaturen und die zunehmende Ozeanversauerung durch den Klimawandel könnten viele einst gesunde Ökosysteme jedoch empfindlich aus dem Gleichgewicht bringen.

Wie sich solche Veränderungen auf marine Nahrungsnetze auswirken, haben Ullah und seine Kollegen nun am Beispiel von typischen Lebensgemeinschaften der Küstenregionen Südaustraliens untersucht. Für ihre Studie siedelten sie in zwölf Tanks mit jeweils 1.600 Litern Fassungsvermögen unterschiedliche Arten von Algen, Krebsen, Schwämmen, Schnecken und Fischen an und simulierten mögliche Folgen des Klimawandels, indem sie im Wasser entweder die Temperatur, den Grad der Versauerung oder beide Faktoren gleichzeitig veränderten.

Wertlose Nahrung

Wie würden diese Veränderungen die Funktionsweise der Mini-Nahrungsnetze beeinflussen? Nach sechs Monaten zeigte sich vor allem unter dem kombinierten Anstieg von Temperatur und Kohlenstoffdioxid ein deutlicher Effekt: „Die Biomasse der Produzenten nahm zu, was hauptsächlich an einer starken Ausbreitung von Cyanobakterien lag“, berichtet Ullah.

Das Problem: Diese auch als Blaualgen bezeichneten Organismen können von Tieren der nächsten Stufe des Nahrungsnetzes nur schlecht verwertet werden und spielen als Nahrung daher kaum eine Rolle. Durch ihre Dominanz verdrängten sie im Versuch jedoch gleichzeitig andere Arten von Phytoplankton. Als Folge stand weniger Energie für die Konsumenten am unteren Ende des Nahrungsnetzes zur Verfügung, was sich negativ auf den Energiefluss durch das ganze System auswirkte.

Verschobenes Gleichgewicht

Das verschobene Gleichgewicht veränderte den Forschern zufolge die Nahrungsnetze so stark, dass sie langfristig sogar einen vollständigen Kollaps für möglich halten. Bedroht die Erderwärmung demnach sämtliche marine Nahrungsnetze unseres Planeten? Eher nicht, glauben Experten.

„Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen recht überzeugend eine mögliche Richtung der zu erwartenden Veränderungen in südaustralischen Küstenökosystemen“, sagt Martin Wahl vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. „Die Ergebnisse lassen sich mit Sicherheit jedoch nicht auf Systeme des offenen Ozeans, der Tiefsee, auf die Tropen, oder auf Polarregionen übertragen.“

„Es hängt immer von den regionalen Bedingungen und der herrschenden Artenzusammensetzung ab, ob der Energiefluss durch das Nahrungsnetz bei CO2- und Temperaturanstieg gebremst oder angeheizt wird“, ergänzt Harald Asmus vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung auf Sylt.

Stabilisierung möglich

Hinzu kommt: In der Natur können sich Lebensgemeinschaften bei langsamen Veränderungen über einen längeren Zeitraum womöglich doch anpassen – oder das Nahrungsgefüge wird durch die Einwanderung neuer Arten wieder ins Gleichgewicht gebracht.

„Derartige Prozesse können in solchen Experimenten nicht erfasst werden. Sie sind jedoch wichtig für das Ökosystem und können zu einer Stabilisierung führen“, betont Inga Hense von der Universität Hamburg. (PLOS Biology, 2018; doi: 10.1371/journal.pbio.2003446)

(PLOS, 10.01.2018 – DAL)

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