„Falsche“ Richtung: Physiker haben ein ungewöhnliches Verhalten von rotierenden Protonen bei der Kollision mit Atomkernen entdeckt. Denn bei größeren Kollisionspartnern wie Gold-Atomkernen fliegen die entstehenden Neutronen in die „falsche“ Richtung“ – sie rasen bevorzugt entgegen der Spinrichtung des Protons davon. Das widerspricht der gängigen Theorie und wirft ein ganz neues Licht auf die Kräfte, die bei solchen Teilchenkollisionen wirken, so die Forscher.
Der Relativistic Heavy Ion Collider (RHIC) in Brookhaven ist zwar nicht der größte Teilchenbeschleuniger der Welt. Dafür aber hat er eine ganz besondere Eigenschaft: In ihm können Physiker die Polarisation – die Spinrichtung – der beschleunigten Protonen kontrollieren. Dadurch können sie gezielt Protonen bestimmter Rotationsrichtung mit anderen Teilchen kollidieren lassen.
Kollision mit Drall
Im Jahr 2011 entdeckten Forscher der PHENIX Collaboration am RHIC bei solchen Proton-Proton-Kollisionen eine klare Präferenz der Teilchen: Hat das einschlagende Proton einen Rechtsdrall, dann werden die bei der Kollision entstehenden Neutronen auch leicht nach rechts abgelenkt – ähnlich wie beim Billiard, wenn eine Kugel mit Spin gestoßen wird.
Jetzt haben die Physiker diese Kollisionen mit schwereren Atomkernen wiederholt. Sie schossen spinpolarisierte Protonen diesmal auf Aluminium- und Goldkerne. „Wir haben erwartet, dass dabei etwas Ähnliches wie bei den Proton-Proton-Kollisionen geschieht“, erklärt Itaru Nakagawa von der PHENIX Collaboration. „Wir konnten uns nicht vorstellen, warum die Asymmetrie diesmal anders ausfallen sollte.“
„Falsche“ Richtung
Doch zur Überraschung der Forscher geschah genau das: Trafen die polarisierten Protonen auf einen Goldkern, flogen die Neutronen nicht wie erwartet in die Richtung des Protonenspins, sondern genau in die entgegengesetzte Richtung. „Was wir beobachteten, war total erstaunlich“, berichtet Alexander Bazilevsky vom Brookhaven Laboratory. Er vergleicht den Effekt mit einer Billardkugel mit Rechtsspin, die bei Zusammenstoß mit einer Bowlingkugel plötzlich nach links davonrast.
„Offenbar wirken bei der Kollision von Protonen untereinander andere Mechanismen als bei der Kollision von Protonen mit größeren Atomkernen“, so Bazilevsky. Das widerspricht völlig der bisher gängigen Theorie. Um ganz sicher zu gehen, dass dieser verblüffende Effekt real ist, überprüften die Physiker ihre Detektordaten mehrfach und wiederholten die Kollisionen sowohl mit Goldkernen als auch mit etwas leichteren Aluminiumkernen.
Größe des Atomkerns entscheidend
„Dadurch hatten wir nun drei Sätze von Daten: für Kollisionen polarisierter Protonen mit Protonen, mit den mittelschweren Aluminiumkernen und mit den schweren Goldkernen“, sagt der Physiker. Es zeigte sich: Die Richtung der freigesetzten Neutronen verändert sich offenbar mit der Größe des Atomkerns, den die Protonen treffen.
„Die Asymmetrie nimmt graduell zu: Von negativ bei Proton-Proton-Kollisionen, hier fliegen mehr Neutronen nach rechts, zu fast keiner Asymmetrie bei Proton-Aluminium-Kollisionen bis hin zu einer großen positiven Asymmetrie bei Kollisionen von Protonen mit Goldkernen – hier fliegen überraschend viele Neutronen nach links“, erklärt Bazilevsky.
Ladung vor Kernkraft?
Doch was ist die Ursache für dieses ungewöhnliche Verhalten? Die Physiker vermuten, dass die elektrische Ladung der Atomkerne dafür eine Rolle spielt. „Bei Kollisionen von Protonen mit Protonen ist der Effekt der elektrischen Ladung vernachlässigbar gering“, erklärt Nakagawa. Das Verhalten der Kollisionspartner wird daher fast nur von der starken Kernkraft bestimmt.
Anders dagegen bei Kollisionen mit größeren Atomkernen: Weil mit zunehmender Größe auch die Protonenzahl im Atomkern zunimmt, steigt die positive Ladung. Dadurch – so spekulieren die Forscher – nimmt offenbar der Einfluss der elektromagnetischen Kraft auf die Kollisionspartner zu. Ab einer bestimmten Kerngröße und damit Ladung kann sie sogar die Flugrichtung der freigesetzten Neutronen umkehren.
Wirksam auch bei Teilchenkollisionen in der Atmosphäre
Die Physiker wollen nun Kollisionen mit noch anderen Atomkernen durchführen, um diesen Effekt und seine Gesetzmäßigkeiten zu überprüfen. Auch die Flugrichtung weiterer Teilchen außer Neutronen soll dabei genauer untersucht werden. „Wenn wir dabei die Asymmetrie beobachten, die wir auf Basis der elektromagnetischen Wechselwirkung vorhersagen, wäre dies ein starkes Argument für unsere Hypothese“, sagt Nakagawa.
Spannend ist der neuentdeckte Effekt nicht nur für die Teilchenphysik, er hat auch ganz praktische Bedeutung. Denn Kollisionen wie die im RHIC beobachteten finden ständig auch in unserer Atmosphäre statt. Sie ereignen sich beispielsweise, wenn die Teilchen kosmischer Strahlung auf Gasatome und Ionen der Atmosphäre treffen. (Physical Review Letters, 2018; doi: 10.1103/PhysRevLett.120.022001)
(DOE/ Brookhaven National Laboratory, 09.01.2018 – NPO)