Eisiges Archiv: In den Bergen Tibets haben Forscher den ältesten Eisbohrkern außerhalb der Polargebiete gewonnen. Der gut 300 Meter lange Bohrkern aus dem Gletschereis reicht 600.000 Jahre weit in die Vergangenheit zurück. Erste Analysen dieses Eises bestätigen, dass sich der Himalaya – und damit der „dritte Pol“ der Erde – in den letzten Jahrzehnten stärker erwärmt hat als tiefer gelegenen Regionen.
Das Eis von Gletschern speichert nicht nur große Teile des irdischen Süßwassers, die im Laufe von Jahrtausenden bis Jahrmillionen abgelagerten Eisschichten sind auch ein wertvolles Archiv der Erdgeschichte. Die im Eis eingeschlossenen Luftbläschen und Isotope liefern Informationen über die Klimageschichte, vergangene Vulkanausbrüche, und sogar über die Umweltsünden der Konquistatoren oder der antiken Europäer.
Bohrungen auf dem Dach der Welt
Jetzt haben Forscher um Lonnie Thompson von der Ohio State University den bisher ältesten Eisbohrkern außerhalb der Polargebiete gewonnen. Er stammt aus dem Eis von Gebirgsgletschern in Tibet und damit vom „dritten Pol“ der Erde. Die Gletscher des Himalaya sind nach Arktis und Antarktis der größte Süßwasserspeicher der Erde und ein wichtiger Anzeiger für die Klimaentwicklung in dieser Region.
Während einer Expedition im Jahr 2015 haben die Wissenschaftler auf dem tibetischen Hochplateau fünf Eisbohrkerne gewonnen, der längste war gut 300 Meter lang. Jetzt belegen Datierungen, dass die ältesten Schichten dieses Eises bereits 600.000 Jahre alt sind. Sie sind damit nach den Eisbohrkernen aus der Antarktis und noch vor den Kernen aus Grönland die ältesten Bohrkerne dieser Art.
Überproportional starke Erwärmung
Die ersten Analysen der Eisbohrkerne liefern Einblicke in die Klimaentwicklung des Himalaya – und enthüllen drastische Veränderungen in den letzten Jahrzehnten. „Die Isotopenwerte, die wir von den fünf Eisbohrkernen erhalten haben, dokumentieren die Klimaveränderungen der letzten 1.000 Jahre“, sagt Thompson. „Sie demonstrieren, dass die Klimaerwärmung wirklich stattfindet und dass sie schon jetzt negative Auswirkungen auf die eisigen Süßwasserspeicher der Erde hat.“
Demnach sind die Mittel-Temperaturen in den Kunlun-Bergen in den letzten 50 Jahren um 1,5 Grad gestiegen. Damit bestätigen die Werte, dass sich der Klimawandel in den höchsten und kältesten Regionen der Erde am stärksten auswirkt. Nach Prognosen des IPCC könnten die Temperaturen auf Meeresspiegel-Niveau bis 2100 um drei Grad steigen, in den Hochgebirgen der gemäßigten Breiten aber um sechs Grad.
Folgen für die Wasserversorgung Asiens
Für die Bewohner Asiens sind dies keine guten Nachrichten. Denn die Wasserversorgung von Millionen Menschen dort hängt direkt von den Gebirgsgletschern des Himalaya und der angrenzenden Gebirgszüge ab. Schwinden dort die Gletscher, wie es Klimaprognosen vorhersagen, dann könnte ihr Wasser knapp werden. „Es gibt mehr als 46.000 Gebirgsgletscher in diesem Teil der Erde und sie sind die Hauptquelle für viele große Flüsse dieser Region“, erklärt Thompson.
Kurzfristig könnte das schnelle Abschmelzen der Gebirgsgletscher auch zu vermehrten Überschwemmungen und Hochwassern führen. „Die anhaltende Erwärmung in diesen Regionen wird die Eisschmelze verstärken und damit auch katastrophale Umweltfolgen wahrscheinlicher machen“, erklärt Yao Tandong von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften.
In den nächsten Monaten wollen die Forscher ihre Eisbohrkerne nun weiter analysieren. Sie hoffen, dabei auch mehr Informationen über Verknüpfungen von Klimaschwankungen in anderen Gegenden der Erde mit der Klimaentwicklung im Himalaya zu bekommen. „Je mehr wir die Umweltkomponenten des dritten Pols untersuchen, desto besser verstehen wir den Klimawandel und seine verknüpften Wirkungen auf die Gebirge und Polarregionen der Erde“, sagt Yao. (Fall Meeting, American Geological Union, 2017)
(Ohio State University, 14.12.2017 – NPO)