Schutzlos im Ozean: Die zunehmende Versauerung der Meere macht Miesmuschellarven echte Probleme. Denn unter diesen Bedingungen wird es für die Organismen immer schwieriger, ihre lebenswichtige Kalkschale aufzubauen. Im Extremfall löst sich der vor Fressfeinden und Umwelteinflüssen schützende Panzer sogar auf – und die Larven sterben. Den Miesmuscheln könnten mit dem Voranschreiten des Klimawandels daher schwere Zeiten bevorstehen.
Miesmuscheln kommen in den turbulenten Gezeitenzonen der Meere vor – auch an unseren Küsten. Doch wie viele Lebewesen in den Ozeanen sind die Tiere durch die zunehmende Versauerung des Meerwassers gefährdet. Der Klimawandel führt dazu, dass immer mehr Kohlendioxid aus der Atmosphäre ins Wasser gelangt und dort gelöst wird. Als Folge sinkt der pH-Wert – und das bekommen die Muscheln deutlich zu spüren.
Studien zeigen: Wird das Wasser der Ozeane nur ein wenig saurer, verlieren die Muscheln einen lebenswichtigen Anker. Denn ihre stabilen Haltefäden härten dann nicht mehr richtig aus, die Muscheln sind starken Strömungen wehrlos ausgeliefert. Auch ihr Schutzschild gegen Fressfeinde könnte den Meerestieren durch die Erderwärmung abhandenkommen: Die Kalkschale der Muscheln ist für extrem saure Bedingungen ebenfalls nicht gemacht.
Empfindliche Larven
Wie empfindlich die Muscheln auf sich verändernde pH-Werte reagieren, haben nun Wissenschaftler um Kirti Ramisch vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel untersucht – und sich dabei einer ganz frühen Lebensphase der Tiere gewidmet: dem Larvenstadium. In dieser Zeit bilden die Muscheln ihren lebenswichtigen Panzer aus. Bereits zwischen dem ersten und zweiten Lebenstag entwickeln sie Kalkschalen, die dem Gewicht ihres restlichen Körpers entsprechen.
„Für unsere Untersuchungen haben wir erstmalig zwei Methoden benutzt, um die Kalzifizierung von ein bis zwei Tage alten Muschellarven zu verstehen und deren Sensitivität gegenüber dem Klimawandel abzuschätzen“, berichtet Ramesh. Mithilfe von Fluoreszenzfarbstoffen und einer speziellen Mikroskopiermethode beobachteten die Forscher die Ablagerung von Kalziumkarbonat an lebenden Larven. Außerdem untersuchten sie, wie sich die Eigenschaften des Wassers auf die Bedingungen direkt unter der Muschelschale auswirken.
Aus dem Wasser in die Schale
Dabei zeigte sich: Anders als gedacht scheinen die Miesmuschellarven das Kalziumkarbonat für die Schale nicht intrazellulär zu bilden. „Wahrscheinlicher ist, dass Kalzium direkt aus dem Meerwasser aufgenommen und über spezielle Proteine zur Schale transportiert wird. In direkter Umgebung zur Schale findet dann die Bildung von Karbonat statt“, erläutert Ramesh.
Für diesen Prozess sind die Tiere allerdings nicht ausschließlich von den äußeren Bedingungen abhängig: „Wir konnten zum ersten Mal zeigen, dass die Muschellarven in der Lage sind, den pH-Wert und die Karbonatkonzentration unter der Schale zu erhöhen, was dann zu höheren Kalzifizierungsraten führt“, sagt Mitautor Frank Melzner.
Viel CO2 führt zu Schalenauflösung
Mit zunehmender Versauerung wird dies jedoch immer schwieriger, wie sich herausstellte. Dann sinken auch die pH-Werte unter der Schale ab und der Kalzifizierungsprozess verlangsamt sich. Im Extremfall mit fatalen Folgen: „Sehr hohe CO2-Konzentrationen führen zu Schalenauflösung und erhöhter Mortalität“, berichtet Melzner. Damit haben die Wissenschaftler eine direkte Beziehung zwischen den Kalzifizierungsraten der Organismen und der Karbonatchemie des Meerwassers aufgedeckt – eine Beziehung, die die Muscheln äußerst anfällig für den Klimawandel macht.
Doch es gibt Hoffnung: Im Versuch lösten sich die Schalen erst bei sehr niedrigen pH-Werten auf. Dies deutet den Forschern zufolge darauf hin, dass bestimmte organische Bestandteile der Muschelschale zu einer erhöhten Säureresistenz beitragen. Welche Bestandteile das sind, will das Team nun mithilfe genetischer Analysen herausfinden.
„Befunde aus unserem Labor zeigen, dass manche Miesmuschelpopulationen, insbesondere aus der Ostsee, toleranter gegenüber Ozeanversauerung sind. Wir vermuten, dass der Schlüssel zu erhöhter Säurebeständigkeit von Muschelschalen in der Variation der organischen Schalenbestandteile liegt“, schließt Melzner. Solche toleranten Populationen könnten dann die Gewinner des Klimawandels sein. (Nature Communications, 2017; doi: 10.1038/s41467-017-01806-8)
(GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, 24.11.2017 – DAL)