Partnertausch als Überlebensstrategie: Forscher haben herausgefunden, warum Flechten unter sehr unterschiedlichen klimatischen Bedingungen wachsen können. Demnach trägt deren Bereitschaft zur „Untreue“ erheblich zu dieser Fähigkeit bei. Denn flechtenbildende Pilze wechseln je nach klimatischer Bedingung einfach ihren Symbiosepartner: Sie vereinen sich mit der jeweils am optimalsten angepassten Alge. Diese Strategie könnte ihnen möglicherweise auch helfen, mit dem Klimawandel zurecht zu kommen.
Flechten sind ein klassisches Beispiel für eine perfekte Symbiose: Pilze vereinen sich in dieser Lebensform mit einer Alge oder einem Cyanobakterium zu einem wahren Superorganismus. Dabei ergänzen sich die sehr unterschiedlichen Partner so gut, dass sie gemeinsam Fähigkeiten besitzen, die Alge oder Pilz allein nicht haben.
Auf diese Weise können Flechten selbst die unwirtlichsten Lebensräume besiedeln – und womöglich sogar auf dem Mars überleben. Auch die Anpassung an unterschiedliche klimatische Bedingungen fällt den Organismen erstaunlich leicht. Eine entscheidende Rolle für diese Fähigkeit scheint die Partnerwahl zu spielen, wie Wissenschaftler um Imke Schmitt vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum in Frankfurt am Main nun herausgefunden haben.
Anderes Klima, neuer Partner
Für ihre Studie untersuchten die Forscher die beiden eng miteinander verwandten Flechten Lasallia pustulata und Lasallia hispanica. Die beiden Arten besiedeln unterschiedliche Höhenlagen, kommen im mittleren Höhenbereich aber auch gemeinsam vor. Zusammengenommen erstreckt sich ihr Lebensraum im Mittelmeergebiet von null bis hinauf auf 2.100 Meter Höhe über den Meeresspiegel. Schmitts Team interessierte nun: Würden die mit zunehmender Höhe maßgeblich kälter und nasser werdenden Bedingungen einen Einfluss auf die Zusammensetzung der Pilz-Algen-Symbiose haben?
Tatsächlich offenbarten DNA-Analysen: Je nach Standort leben die flechtenbildenden Pilze beider Spezies mit unterschiedlichen Grünalgen aus der Gattung Trebouxia zusammen. „Die Pilze können theoretisch mit sieben verschiedenen Trebouxia-Arten zusammenleben“, erklärt Schmitt. „Das tun sie aber nicht überall.“ Stattdessen scheine es sowohl „Schönwetter“-Algenpartner für warme, frostfreie Umgebungen im Tal als auch „Schlechtwetter“-Algenpartner für die Höhenlagen zu geben.
Vorteil im Klimawandel?
Die Ergebnisse legen nahe, dass der Austausch von Algenpartnern ein Mechanismus der flechtenbildenden Pilze ist, sich an unterschiedliche Klimabedingungen anzupassen. Durch die Wahl einer optimal angepassten Alge können sich die Pilze für die Bedingungen ihres jeweiligen Standorts wappnen – und womöglich auch besonders schnell auf sich verändernde Klimabedingungen reagieren. Seinem Partner untreu zu sein, trägt in diesem Fall erheblich zum Erfolg der Flechten bei.
Wenn sich die Flechten tatsächlich durch die Wahl des Algenpartners an das Klima anpassen könnten, hätten sie anderen Organismen etwas voraus, wie die Wissenschaftler betonen. „Es ist möglich, dass es der flechtenbildende Pilz innerhalb weniger Generationen schaffen könnte, statt mit der bisherigen Algenart mit einer anderen zusammen zu leben, die optimaler an die neuen Umweltbedingungen angepasst ist“, erklärt Schmitt.
„Das wäre entscheidend schneller als sich durch Veränderungen im Erbgut an neue Klimabedingungen anzupassen. Dieser klassische Weg kann sich nämlich über Millionen von Jahren erstrecken“, ergänzt die Forscherin. (New Phytologist, 2017; doi: 10.1111/nph.14770)
(Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, 15.11.2017 – DAL)