Uralte Wurzeln: Eine Genstudie bestätigt, dass der moderne Mensch älter ist als lange gedacht. Den neuen DNA-Vergleichen nach müssen die ersten Vertreter des Homo sapiens schon vor gut 300.000 Jahren gelebt haben. Denn schon damals trennten sich die Vorfahren der heutigen Khoe-San-Buschleute von allen anderen Menschenvölkern ab, wie Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten. Außerdem könnte sich der Homo sapiens vielleicht sogar an mehreren Orten Afrikas gleichzeitig entwickelt haben.
Die Wiege des Homo sapiens stand in Afrika. Doch wann und wo sich dort unsere Vorfahren entwickelten, ist alles andere als klar. Lange galten 190.000 Jahre alte Fossilien aus Äthiopien als die ältesten bekannten Vertreter des Homo sapiens – und als Beleg dafür, dass seine Wiege in Ostafrika stand. Doch bereits 2011 lieferten Genvergleiche Indizien dafür, dass die frühesten Menschen stattdessen in Südafrika gelebt haben könnten.
Vollends für Verwirrung sorgte dann im Juni 2017 der Fund von rund 300.000 Jahre alten Homo sapiens-Fossilien in Marokko. Denn sie sprechen dafür, dass der moderne Mensch mindestens 100.000 Jahre älter sein könnte als angenommen – und dass seine Verbreitung damals keineswegs auf Ost- oder Südafrika beschränkt war.
Spurensuche im fossilen Erbgut
Jetzt könnte eine Genstudie die marokkanischen Funde bestätigen. Denn sie liefert ebenfalls Indizien für einen deutlich früheren Ursprung unserer Art. Carina Schlebusch von der Universität Uppsala und ihre Kollegen haben dafür das Erbgut von sieben 2.000 bis 500 Jahre alten südafrikanischen Menschenfossilien analysiert. Drei gehörten zu den steinzeitlichen Vorfahren der heutigen Khoe-San – einem der ältesten Völker der Erde. Die vier anderen Fossilien stammten von eisenzeitlichen Angehörigen eines Bantuvolks.
Die Forscher analysierten das Genom dieser Individuen und verglichen die DNA-Sequenzen mit denen fossiler und heute lebender Menschen aus verschiedenen Völkern und Regionen der Erde. Anhand der Unterschiede und der Mutationsrate konnten sie rekonstruieren, wann sich die verschiedenen Populationen voneinander abgetrennt haben.
Erste Verzweigung schon vor gut 300.000 Jahren?
Das überraschende Ergebnis: Im Erbgut der urzeitlichen Khoe-San fanden sich Genvarianten, die sie von allen anderen afrikanischen und nichtafrikanischen Völkern unterscheiden. Nach Angaben der Forscher deutet dies deutet darauf hin, dass sich dieser Volksstamm schon sehr früh von den übrigen Populationen des Homo sapiens abgetrennt haben muss.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die älteste Verzweigung innerhalb des anatomisch modernen Homo sapiens bereits vor 350.000 bis 260.000 Jahren stattfand“, berichten Schlebusch und ihre Kollegen. „Das bedeutet auch, dass die modernen Menschen früher entstanden sein müssen als bisher angenommen.“ Die ersten Vertreter des Homo sapiens könnten damit sogar Zeitgenossen des Homo naledi gewesen sein – eines noch immer rätselhaften Frühmenschen, dessen Fossilien vor einigen Jahren in einer Höhle in Südafrika entdeckt wurden.
Nicht nur eine „Wiege“ der Menschheit
Und noch etwas bestätigen die neuen Ergebnisse: Es gab in Afrika offenbar nicht nur eine „Wiege“ des Homo sapiens. „Sowohl paläoanthropologische als auch genetische Belege deuten immer stärker auf einen multiregionalen Ursprung des anatomisch modernen Menschen in Afrika hin“, sagt Schlebusch. Unsere Vorfahren könnten demnach sowohl in Nordafrika, als auch in Ost- und Südafrika die Merkmale entwickelt haben, die sie zu den ersten echten Menschen machten.
Unsere Vorgeschichte wird damit noch ein Stück komplexer. Der Weg zum Menschen war offenbar nicht sehr gerade, sondern eher ein Gewirr aus vielen Um- und Nebenwegen. Diesen Ablauf zu entschlüsseln, wird daher noch einiges an Forschung benötigen. (Science, 2017; doi: 10.1126/science.aao6266)
(AAAS, 29.09.2017 – NPO)