Besser als alle Erwartungen: Das Potenzial der Solarenergie wurde jahrelang drastisch unterschätzt – selbst in den Modellen der Klimaforscher und im Weltklimabericht. Sie galt als zu teuer und zu unzuverlässig. Doch inzwischen ist die Photovoltaik eine der am schnellsten wachsenden erneuerbaren Energien. Bis 2050 könnte sie weltweit sogar 30 bis 50 Prozent des Strombedarfs allein decken, wie Forscher im Fachmagazin „Nature Energy“ prognostizieren.
Um den Klimawandel zu stoppen, ist ein Umstieg auf erneuerbare Energien unumgänglich, so viel scheint klar. Doch welche Energieformen dabei die meisten Vorteile bringen, ist weit weniger eindeutig. So sind Wind- und Solarenergie zwar vielerorts reichlich vorhanden, aber weil sie vom Wetter abhängig sind, schwankt die Stromerzeugung aus diesen Quellen stark. Das Stromnetz muss diese Schwankungen abpuffern können, beispielsweise durch Weiterleitung in andere Regionen oder die Zwischenlagerung in Stromspeichern.
Aber wie hoch ist das Potenzial der Solarenergie – auch und gerade angesichts dieser technischen Herausforderungen? Das haben Felix Creutzig von der TU Berlin und seine Kollegen nun untersucht. Dabei haben sie verglichen, wie gut frühere Prognosen mit der tatsächlichen Entwicklung der Photovoltaik übereinstimmen und welche Rückschlüsse die heutige Situation auf die Zukunft erlaubt.
Schnellere Zunahme als gedacht
Das erstaunliche Ergebnis: Die Stromerzeugung aus Sonnenenergie ist viel besser als ihr Ruf – und das in fast jeder Hinsicht. Sie ist deutlich schneller gewachsen und ihre Kosten haben sich schneller verringert, als es fast alle Modelle und Szenarien vorhergesagt haben. So schätzte das IPCC im letzten Weltklimabericht, dass bis 2015 weltweit maximal 50 Terawattstunden durch Photovoltaik erzeugt werden. „Das ist weniger als die Hälfte dessen, was schon 2014 global an Sonnenstrom produziert worden ist“, berichten Creutzig und seine Kollegen.
Die Internationale Energieagentur (IEA) prognostizierte ein jährliches Wachstum von 16 bis 30 Prozent, der deutsche Umweltrat (WBGU) schätzte es auf 26 Prozent und selbst Greenpeace sah das Wachstumspotenzial bei maximal 24 bis 32 Prozent. Doch aktuelle Daten belegen: „Mit einer Wachstumsrate von 40 Prozent jährlich ist die Photovoltaik unter den erneuerbaren Energien die Technologie mit der schnellsten Zunahme“, so die Forscher.
Boom gerade bei Privatleuten
Aber warum wurde gerade die Solarenergie so stark unterschätzt? Wie die Wissenschaftler erklären, beruht dies auf Fehleinschätzungen von drei Schlüsselfaktoren: Zum einen haben gezielte Fördermaßnahmen wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz und ähnliche Programme in anderen Ländern viel besser gegriffen als man glaubte. „Allein in Deutschland löste dies zwischen 2000 und 2016 ein 400-fache Zunahme aus“, berichten die Forscher.
Womit kaum jemand gerechnet hatte, ist zudem der Boom der Solarenergie gerade bei Privatleuten: Die Einspeisevergütung und Zuschüsse machten die Solarenergie für sie zu einer lohnenden Investition und oft der günstigeren Alternative zum Netzstrom. „Ende 2012 gehörten 48 Prozent der gesamten installierten Photovoltaik-Kapazität Bürgern – das ist mehr als bei jeder anderen modernen Stromerzeugungstechnologie“, sagen Creutzig und seine Kollegen.
Steile „Lernkurve“
Der zweite entscheidende Faktor ist die technische und preisliche Entwicklung der Module: „Mit jeder Verdopplung der installierten Kapazität sind die Kosten für die Solarzellen um 22,5 Prozent gesunken“, berichten die Forscher. „Diese ‚Lernkurve‘ ist damit steiler als bei jeder anderen Energietechnologie.“
Als Folge liegen die Preise für „hausgemachten“ Solarstrom inzwischen vielerorts unter den Preisen für Strom aus dem Netz. In Ländern wie Dubai, Mexiko, Indien oder Chile ist der Solarstrom selbst ohne Subventionen und Förderung heute schon billiger als der Strom aus konventionellen Kraftwerken, wie die Wissenschaftler berichten. Als dritter Faktor kommt hinzu, dass die Potenziale konkurrierender Energieformen lange überschätzt wurden.
Und die Folgen für das Stromnetz?
Doch gerade die rasante Zunahme der Solarenergie hat auch eine Schattenseite: Je höher der Anteil des Sonnenstroms wird, desto stärker wirken sich die wetterbedingten Schwankungen auf die Stromnetze aus. „Die ersten paar Prozent kann jedes Stromnetz problemlos verkraften“, so die Forscher. „Doch bei höheren Anteilen machen sich die Herausforderungen für die Netzintegration immer mehr bemerkbar.“
Aber Erfahrungen aus Ländern mit bereits hohen Anteilen von Wind- und Solarstrom zeigen, dass es dafür durchaus rentable und machbare Lösungen, wie Creutzig und seine Kollegen erklären. Neben Energiespeichern wie Pumpspeichern oder Batterien, kann vor allem der Ausbau der Leitungsnetze und der überregionale Stromaustausch Angebotsspitzen abpuffern. Auch intelligente Netze und bessere Vorhersagen tragen dazu bei.
Sonne und Wind als „Dreamteam“
Besonders großes Potenzial aber sehen die Forscher in der Kombination von Wind- und Solarenergie: „In der EU beispielsweise ist die Photovoltaik-Produktion im Sommer am höchsten, während Wind vor allem im Herbst und Frühjahr stärker weht“, sagen sie. „Eine Kombination der beiden kann daher die Stromerzeugung ausgeglichener machen.“
Ähnlich sieht es auch Karsten Lemmer von Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), der nicht an der Studie beteiligt war: „Wir haben errechnet, dass etwa 60 Prozent witterungsabhängig erzeugten Stroms aus Windenergie und etwa 40 Prozent aus Sonnenenergie für Deutschland eine optimale Konstellation darstellen. Bei diesem Technologiemix wird der Überschuss an Strom minimal und der Bedarf an kostenintensiven Speichertechnologien ist vergleichsweise gering.“
Die Hälfte allen Stroms aus der Sonne?
Creutzig und seine Kollegen halten es für durchaus wahrscheinlich, dass bis zum Jahr 2050 bereits 30 bis 50 Prozent der Stromerzeugung aus der Photovoltaik stammen. „Selbst wenn man mit einbezieht, dass der Strombedarf bis dahin höher sein wird als heute“, so die Forscher. Ihrer Schätzung nach könnte die Photovoltaik bis 2050 weltweit 18.000 bis 36.000 Terawattstunden liefern – und dies zu vertretbaren Kosten.
Besonders große Chancen sehen die Forscher dabei in den Entwicklungsländern. „Viele Länder im Süden haben ein kosteneffizientes Potenzial für Solarenergie, das bisher weitgehend unausgeschöpft geblieben ist“, so Creutzig und seine Kollegen. Hier fehlte es bisher vor allem an Geld, weshalb gezielte Investitionen in Photovoltaik in diesen Ländern große Fortschritte bringen könnten. (Nature Energie, 2017; doi: 10.1038/nenergy.2017.140)
(Nature, 28.08.2017 – NPO)