Deutliche Veränderung: In den letzten 50 Jahren haben sich die typischen Hochwasser-Zeiten in Europa verschoben, wie eine Studie enthüllt. In der Nordsee-Region treten winterliche Hochwasser heute im Mittel zwei Wochen später auf. Dafür kommen die Frühjahrs-Hochwasser im Baltikum und Teilen Skandinaviens heute fast einen Monat früher. Ursachen dafür sind die frühere Schneeschmelze und verschobene großräumige Luftströmungen, wie die Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten.
Hochwasser und Überschwemmungen gehören zu den Naturereignissen, die weltweit am meisten Menschen treffen. Ursachen sind oft ein anhaltender Starkregen wie beim Jahrhundert-Hochwasser von 2013, oder eine besonders abrupte und starke Schneeschmelze im Frühjahr. Weil der Klimawandel die Wetterextreme verstärkt, prognostizieren Klimaforscher für viele Regionen eine Zunahme von Hochwasser-Ereignissen – auch in Deutschland.
Timing statt Häufigkeit
Doch macht sich der Klimawandel in Europa schon jetzt beim Hochwasser bemerkbar? Dazu lieferten Studien bisher widersprüchliche Ergebnisse. „Wenn man nur die Stärke der Hochwasser untersucht, kann die Rolle des Klimas durch andere Effekte maskiert werden, beispielsweise durch Landnutzungs-Änderungen, durch Urbanisierung, eine intensivere Landwirtschaft oder die Entwaldung“, erklärt Erstautor Günter Böschl von der TU Wien.
Um solche Störeffekte zu umgehen, haben Böschl und seine Kollegen einen anderen Ansatz gewählt: Sie untersuchten, ob und wie sich Hochwasser-Ereignisse zeitlich verschoben haben. Weil dieses Timing in Europa oft von direkt Klimaphänomenen wie der Schneeschmelze oder gehäuften Starkregen abhängt, lässt sich daran der Klimawandel-Einfluss besser ablesen, wie die Forscher erklären.
Klare Verschiebung sichtbar
Für ihre Studie werteten die Wissenschaftler Pegeldaten der letzten 50 Jahre von 4.262 Messstationen in 38 europäischen Ländern aus. Zusätzlich nutzten sie Wetterdaten, um für die verschiedenen Regionen die Perioden mit der höchsten Bodenfeuchte, den Zeitpunkt der Schneeschmelze oder Starkregenphasen zu ermitteln.
Das Ergebnis: „Unsere Daten zeigen eine klare zeitliche Verschiebung der Überschwemmungen in Europa während der letzten 50 Jahre“, berichten Böschl und seine Kollegen. In einigen Regionen ereignen sich die Hochwasser heute im Mittel um bis zu 65 Tage früher, in anderen dagegen haben sie sich um bis zu 45 Tage nach hinten verlagert. Dieser Wandel im Timing sei zwar regional verschieden, aber jeweils relativ linear, so die Forscher.
Früher im Nordosten, später an der Nordsee
In Nordost-Europa haben sich die typischen Hochwasserzeiten nach vorne verlagert: „In Schweden, Finnland und den Baltischen Staaten ereignen sich die Überschwemmungen heute rund einen Monat früher als in den 1960er und 1970er Jahren“, erklärt Böschl. „Damals lagen sie typischerweise im April, heute im März.“ Ursache dafür sei die durch den Klimawandel vorgerückte Schneeschmelze.
Anders ist dies in den Gebieten rund um die Nordsee: In Deutschland, Dänemark, den Niederlanden und dem südwestlichen Skandinavien ereignen sich die Hochwasser heute typischerweise rund zwei Wochen später als noch vor 50 Jahren. Ähnliches gilt für die nördliche Adria und Gebiete im Nordosten Spaniens, wie die Forscher berichten.
Der Grund hier: Winterstürme und die damit verbundenen regenreichen Tiefdruckgebiete haben sich vom Spätherbst weiter in Richtung Jahresende verlagert – unter anderem durch die Erwärmung der Arktis und Veränderungen bei der Nordatlantischen Oszillation (NAO), wie die Forscher berichten. Die winterlichen Starkregen und die damit verbundene Übersättigung der Böden mit Wasser verursachen dann die Überschwemmungen.
Folgen für Wirtschaft und Umwelt
„Unsere Ergebnisse unterstreichen die Existenz eines klaren Klimasignals beim Hochwasser in Europa“, sagt Böschl. „Sollten diese Trends anhalten, könnte dies beträchtliche Folgen für Wirtschaft und Umwelt haben, denn die betroffenen Gesellschaften müssen sich an das neue Timing erst anpassen.“ Entsprechend wichtig sei es, diese zeitlichen Verschiebungen zu kennen und zu berücksichtigen.
So könnten verspätete Winterhochwasser in den Regionen rund um die Nordsee beispielsweise die Böden der Ackerflächen stark aufweichen. Dies würde die Bewirtschaftung der Felder im Frühjahr erschweren, aber auch die Verdichtung der Böden und die Erosion fördern. „Das könnte die landwirtschaftlichen Erträge mindern“, so die Forscher. (Science, 2017; doi: 10.1126/science.aan2506)
(AAAS/ TU Wien, 11.08.2017 – NPO)