Verblüffender Fund: Meeresforscher haben nördlich von Hawaii Korallenriffe entdeckt, die es so eigentlich nicht geben dürfte. Denn die Riffe wachsen in einer Meeresregion, in der das Wasser zu wenig Aragonit enthält – den Baustoff für die Kalkskelette der Steinkorallen. Zudem lösen sich Karbonate hier doppelt so schnell wie im Atlantik. Der erste Fund von Steinkorallenriffen in diesem Gebiet ist daher ein Rätsel.
Steinkorallen galten lange Zeit als typische Bewohner lichtdurchfluteter tropischer Meere, darunter dem berühmten Great Barrier Reef. Doch inzwischen haben Meeresforscher die Riffbauer auch an sehr ungewöhnlichen Orten entdeckt: in der Amazonasmündung, vor Yucatan und sogar in der Tiefsee vor der Küste Grönlands.
Keine Steinkorallen-Riffe möglich?
Ein Meeresgebiet jedoch galt zumindest für die Steinkorallen als zu lebensfeindlich: die Tiefsee im Nordpazifik. Denn dort enthält das Wasser nur sehr wenig Aragonit, den gelösten Kalk, den die Steinkorallen für den Bau ihrer Skelette benötigen. Der sogenannte Aragonit-Sättigungshorizont, die Konzentration, ab der Korallen das Aragonit aus dem Wasser gewinnen können, liegt hier relativ dicht unter der Wasseroberfläche – und damit für Tiefseeriffe zu hoch.
Hinzu kommt, dass sich bereits gebildeten Karbonate hier doppelt so schnell lösen wie im Nordatlantik. „Das Fehlen von Steinkorallen-Riffen in den Tiefen des Nordpazifik – trotz reichlicher Erkundung – hat zu der Hypothese geführt, dass die Riffbildung im Nordpazifik unwahrscheinlich, wenn nicht sogar unmöglich ist“, erklären Amy Baco von der Florida State University und ihre Kollegen.
Überraschender Fund nördlich von Hawaii
Doch zu ihrer eigenen Überraschung haben die Meeresforscher jetzt gleich mehrere Steinkorallenriffe an Unterseebergen nördlich von Hawaii entdeckt. Die Riffe liegen in 535 bis 732 Metern Tiefe an sechs Seamounts der Hawaii und Emperor-Kette. Die Korallenriffe sind zwischen drei und gut 700 Metern lang, wie die Forscher mithilfe von autonomen Unterwasserrobotern feststellten.
Die Riffe bestehen offenbar aus mindestens zwei verschiedenen Korallenarten. Eine identifizierten die Forscher vorläufig als die rötlich gefärbte Spezies Enalopsammia rostrata, eine an der Küste von Hawaii häufige Art. Bei der anderen Art könnte es sich um Solenosmilia variabilis handeln, eine fast weltweit verbreitete Tiefseekoralle mit orange gefärbten Polypen.
Überlebensstrategie rätselhaft
Doch wie schaffen es diese Korallen, trotz der ungünstigen Bedingungen solche Riffe zu bilden? „Selbst wenn die Korallen die niedrige Aragonit-Sättigung irgendwie überwinden konnte und robuste Skelette bildeten, müssten die freiliegenden Kalkskelette sich eigentlich wieder auflösen“, sagt Baco. „Wir dürften hier keine solche Ansammlung von Riffen finden.“
Dennoch gibt es sie. Warum dies so ist, bleibt bislang auch für die Forscher ein Rätsel. Klar scheint, dass diese Korallen offensichtlich über Anpassungen verfügen, die ihnen den Riffbau auch unter solchen scheinbar „unmöglichen“ Bedingungen erlauben. „Eine Reihe von Studien deutet darauf hin, dass einige Tiefseekorallen physiologische Mechanismen besitzen, mit denen sie Aragonitmangel ausgleichen und ihren internen pH-Wert und die Kalkbildung aufrechterhalten könne“, erklären die Wissenschaftler.
Sie vermuten, dass die Riffe nördlich von Hawaii möglicherweise von einer besonders guten Nährstoffversorgung profitieren. Denn zumindest einige Riffe liegen in Arealen, in denen günstige Meeresströmungen besonders viele organische Partikel und Chlorophyll heranspülen, wie Baco und ihre Kollegen herausfanden.
Chance gegen den Klimawandel?
Doch das allein erklärt die Existenz dieser Riffe noch nicht, wie die Forscher betonen. „Es bleibt noch immer ein Mysterium, warum sie sie hier sind“, so Baco. Die Forscher hoffen nun, das Geheimnis dieser „unmöglichen “ Riffe durch weitere Untersuchungen zu lösen. Spannend ist dies auch deshalb, weil die zunehmende Versauerung der Meere durch den Klimawandel in vielen Meeresgebieten genau solche Bedingungen schaffen könnte, wie sie im Nordpazifik heute schon herrschen.
„Wenn es noch mehr dieser Riffe dort draußen gibt, dann würde dies allem widersprechen, was man bisher über den Einfluss der Meeresversauerung und der Karbonatchemie angenommen hat“, sagt Baco. „Das wirft einige große Fragen auf: Gibt es da etwas, das wir noch nicht verstehen? Wie ist die Existenz dieser Riffe möglich?“ (Scientific Reports, 2017; doi: 10.1038/s41598-017-05492-w)
(National Science Foundation/ Florida State University, 17.07.2017 – NPO)