Es ist passiert: Vom Larsen-C-Schelfeis ist einer der größten jemals beobachteten Eisberge abgebrochen. Das 5.800 Quadratkilometer große Stück hat sich nun endgültig vom Schelfeis gelöst, wie Satellitenbilder belegen. Ursache dafür war ein schon seit Monaten wachsender Riss, der rund zwölf Prozent des Schelfeises vom Rest abtrennte. Der neuentstandene Tafeleisberg wiegt eine Billion Tonnen. Welche Folgen sein Kalben für den Rest des Schelfeises hat, ist noch unklar.
Erst vor wenigen Tagen hatten die Eisforscher des MIDAS Projekts gemeldet, dass der Abbruch eines riesigen Eisbergs am Larsen-C-Schelfeis unmittelbar bevorsteht. Denn Anfang Juli verband nur noch eine fünf Kilometer breite Eisbrücke dieses Stück vom Rest des Schelfeises. Ein seit 2015 immer länger werdender Riss hatte sich im Eis gebildet und drohte, ein riesiges Teil des Eisschelfs abzutrennen.
Eine Billion Tonnen schwer
Jetzt ist genau dies passiert. Zwischen dem 10. und 12. Juli hat der Riss im Eis auch die letzten Kilometer überwunden, wie Daten des NASA-Satelliten Aqua belegen. Als Folge ist ein rund 5.800 Quadratkilometer großes Stück des Larsen-C-Schelfeises abgebrochen. Der dabei entstandene Tafeleisberg wiegt rund eine Billionen Tonnen und hat das doppelte Volumen des Eriesees, wie die MIDAS-Forscher berichten.
„Dieser Eisberg ist einer der größten jemals beobachteten“, sagt MIDAS-Projektleiter Adrian Luckman von der Swansea University. Das Larsen-C-Schelfeis hat mit ihm auf einen Schlag zwölf Prozent seiner bisherigen Fläche verloren. Der Eisrand dieses Teils der antarktischen Halbinsel ist damit für immer verändert – und liegt nun so nah an Land wie nie zuvor.
Wird das Schelfeis zerfallen?
Welche Folgen der Eisabbruch für das Schelfeis hat, ist noch unklar. Die Forscher befürchten aber, dass dieser Bruch diese schwimmende Eisfläche destabilisieren könnte. Das benachbarte Larsen-B-Schelfeis war im Jahr 2002 nach einem ähnlichen Eisabbruch einige Jahre zuvor komplett fragmentiert. Auch das Larsen-A-Schelfeis war bereits 1995 nach einem starken Sturm teilweise zerbrochen.
„In den kommenden Monaten und Jahren könnte das Schelfeis entweder wieder wachsen oder es wird weitere Abbrüche erleben, die schließlich zu einem Kollaps dieser Eisfläche führen“, erklärt Luckman. „Welches Szenario wahrscheinlicher ist, darüber sind die Ansichten in der Wissenschaftler-Gemeinschaft geteilt.“ Die Modelle der MIDAS-Eisforscher allerdings prognostizieren eine schleichende Destabilisierung und einen Kollaps in frühestens einigen Jahren.
Was wird aus dem Eisberg?
Auch das künftige Schicksal des Eisbergs ist noch unklar. „Er ist einer der größten jemals beobachteten, daher ist seine weitere Entwicklung schwer vorherzusagen“, erklärt Luckman. „Er könnte im Ganzen bleiben, es ist allerdings wahrscheinlicher, dass er in Fragmente zerbricht.“ In diesem Falle könnten einige Eisschollen über Jahrzehnte in der Ursprungsregion bleiben, während andere Teile des Eisbergs nach Norden in wärmere Gewässer driften.
Bleibt der Eisberg ganz, dann könnte er nach Ansicht von Thomas Rackow vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven zunächst für etwa ein Jahr entlang der Antarktischen Halbinsel durch das Weddell-Meer treiben. „Dann dürfte er Kurs Richtung Nordosten nehmen“, so der Klimaforscher. „Sobald der Eisberg die Spitze der Antarktischen Halbinsel passiert hat, wird er … höchstwahrscheinlich entlang der nördlichen Grenze des Weddell-Wirbels nach Osten treiben.“
Ist der Klimawandel schuld?
Grundsätzlich ist der Abbruch großer Tafeleisberge nichts Ungewöhnliches. „Solche Ereignisse wurden bereits des Öfteren beobachtet, wenn auch nicht in diesem Ausmaß“, erklärt Torsten Albrecht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). „Die Bildung von tiefen Rissen im Schelfeis hängt mit den Spannungen und Scherungen im Eis zusammen und diese wiederum mit dem Eisfluss.“
Die große Frage ist, inwieweit der Klimawandel diesen Prozess beschleunigt – und ob die globale Erwärmung die Rissbildung im Larsen-C-Schelfeis möglicherweise gefördert oder beschleunigt hat. Bisher jedoch gibt es auf diese Frage keine klare Antwort – es fehlt schlicht an Daten. Denn Zeuge solcher großen Eisabbrüche sind Forscher erst, seitdem das antarktische Eis mittels Satelliten überwacht ist. Das jedoch ist nicht lange genug, um daraus langfristige Trends für solche Ereignisse abzuleiten.
Für den Meeresspiegel hat der Abbruch dieses Riesen-Eisbergs jedenfalls keine unmittelbaren Folgen, wie die Forscher betonen. Denn auch das Schelfeis ist Meereis und schwimmt bereits im Ozean. Doch sollte das Larsen-C-Schelfeis komplett zerfallen, dann könnte dies indirekt zu einem Steigen der Pegel beitragen: Weil dann die Eisbarriere fehlt, könnten die landeinwärts des Schelfeises ins Meer mündenden Gletscher schneller abfließen.
(MIDAS Project, 13.07.2017 – NPO)