Späte Folgen: Verläuft die Scheidung der Eltern konfliktreich, können die Kinder noch als Erwachsene unter den Spätfolgen leiden – und das nicht nur seelisch, sondern auch körperlich. Solche Scheidungskinder sind später oft anfälliger gegenüber Infektionen: Sie entwickeln nach einem Virusinfekt dreimal häufiger eine Erkältung, wie ein Experiment belegt. Die Ursache ist wahrscheinlich ein dauerhaft verändertes Immunsystem.
Dass Ehen geschieden werden und Kinder mit getrennten Eltern aufwachsen, ist heute keine Seltenheit mehr. Studien zeigen jedoch, dass Scheidungskinder häufig noch lange unter seelischen und gesundheitlichen Folgen leiden können. Sie haben überproportional häufiger psychosoziale Probleme, entwickeln häufiger Allergien und haben selbst als Erwachsene noch ein höheres Risiko für Herzinfarkt und sogar einige Krebsarten.
Doch welche Rolle spielt es für solche Spätfolgen, wie die Scheidung abläuft? Immerhin gibt es durchaus Scheidungen, die gütlich verlaufen und bei denen beide Elternteile sich die Erziehung der Kinder weiterhin relativ konfliktfrei teilen. In anderen Fällen jedoch sorgen Konflikte auch nach der Scheidung noch für Funkstille oder anhaltenden Streit zwischen den Eltern.
Scheidungskinder im Infektionstest
„Nicht alle Formen der elterlichen Trennung wirken sich auf Kinder gleichermaßen schädigend aus“, erklären Michael Murphy von der Carnegie Mellon University und seine Kollegen. Um dies zu erhärten, haben sie ein Experiment mit 92 erwachsenen Scheidungskindern durchgeführt. Bei 51 von ihnen herrschte nach der Scheidung Streit und „Funkstille“, bei den restlichen verlief die Trennung dagegen weitgehend gütlich.
Die Forscher wollten wissen: Wie stark beeinträchtigt die Scheidung der Eltern die Immunreaktion der erwachsenen Kinder? Und welche Rolle spielt dafür die Dramatik der Konflikte. Um das herauszufinden, unterzogen sie alle Teilnehmer nach einer sechstägigen Quarantäne einem Infektionstest. Sie bekamen per Nasentropfen einen Erkältungsvirus und die Forscher beobachteten, ob und wie stark die Versuchspersonen erkrankten.
Dreimal häufiger erkrankt
Das Ergebnis: Nach der Infektion mit dem Erkältungsvirus zeigten sich klare Unterschiede: „Die Scheidungskinder, deren Eltern nach ihrer Trennung nicht mehr miteinander redeten, entwickelten drei Mal häufiger eine Erkältung als die restlichen Versuchspersonen“, berichten Murphy und seine Kollegen. Bei Scheidungskindern, deren Eltern auch später einen guten Kontakt hielten und sich gemeinsam um die Kinder kümmerten, war dies nicht der Fall.
Nach Ansicht der Forscher bestätigt dies, dass die Art der Scheidung und der familiären Konflikte eine entscheidende Rolle dafür spielt, ob und wie stark die Kinder aus solchen Familien später unter Folgen leiden. Die Unterschiede blieben auch dann erhalten, als die Forscher weitere Einflussfaktoren wie Einkommensverhältnisse der Familie, Bildungsstand der Eltern und Lebensweise der Kinder mitberücksichtigten.
Immunsystem beeinträchtigt
Doch warum kann eine „böse“ Scheidung noch Jahrzehnte später das Erkältungsrisiko der Kinder beeinflussen? Hinweise auf die Ursache dieses Effekts lieferten weitere Analysen. Sie ergaben, dass die Probanden aus der „Funkstille“-Gruppe mehr entzündungsfördernde Botenstoffe in ihrem Blut hatten – ein Hinweis darauf, dass ihr Immunsystem verändert ist. Erste Hinweise auf eine solche langanhaltende Immun-Beeinträchtigung hatten bereits vor einigen Jahren Studien ergeben.
„Kinder, deren Eltern getrennt sind und den Kontakt abgebrochen haben, sind anhaltenden Konflikten ausgesetzt, die Stress verursachen, bedrohlich wirken und eine gute Elternschaft verhindern können“, erklären die Forscher. Das beeinträchtigt die Psyche der Kinder und darüber auch ihr Immunsystem – und dies offenbar langanhaltend.
Auf das Wie kommt es an
„Nicht jede Scheidung ist gleich – und eine anhaltende Kommunikation zwischen den Eltern puffert die negativen Effekte der Trennung auf die Gesundheit ihrer Kinder ab“, sagt Murphy. „Unsere Studie ist damit ein wichtiger Schritt vorwärts, wenn es darum geht zu verstehen, wie familiärer Stress ein Kind auch 20 bis 40 Jahre später noch prägt.“ (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2017; doi: 10.1073/pnas.1700610114)
(PNAS, 06.06.2017 – NPO)