Paläontologie

Meeressaurier-Fossil widerspricht Theorie

Nicht alle Pliosaurier der Kreidezeit waren fleischfressende Top-Prädatoren

So könnte der Pliosaurier Luskhan itilensis zu Lebzeiten ausgesehen haben. © Andrey Atuchin, 2017

Von wegen Herrscher der Meere: Ein in Russland entdecktes Fossil eines Pliosauriers widerspricht bisherigen Annahmen über diese großen Meeressaurier. Denn der 130 Millionen Jahre alte Pliosaurier war offenbar kein Räuber großer Beute wie seine Zeitgenossen. Stattdessen fraß er offenbar nur kleinere Fische, wie seine schmale, eher fragile Schnauze nahelegt. Entgegen bisheriger Ansicht waren demnach nicht alle Pliosaurier Top-Prädatoren des Urzeitozeans.

Sie waren die Herrscher der Meere: Die zu den Plesiosauriern gehörenden Pliosaurier gelten als die marinen Top-Prädatoren während des Jura und der Kreidezeit. Mit ihren vier langen Flossenbeinen, kräftigen Kiefern und einer teilweise enormen Körpergröße jagten sie selbst große Beute. Allein schon der bis zu zwei Meter langer Schädel dieser Meeresreptilien mit den messerscharfen Zahnreihen muss einen furchterregenden Anblick geboten haben.

Doch entgegen gängiger Lehrmeinung gab es damals auch ganz andere Pliosaurier, wie nun ein in Russland entdecktes 130 Millionen Jahre altes Pliosaurier-Fossil beweist. Das nahezu vollständige Skelett wurde bereits im Jahr 2002 am Ufer der Wolga in der Nähe der Stadt Ulyanovsk gefunden. Erst jetzt jedoch haben es Valentin Fischer von der Universität Lüttich und seine Kollegen umfassend analysiert.

Überraschend schmale Schnauze

Der 1,50 Meter lange Schädel des Fossils spricht dafür, dass dieser Pliosaurier zu Lebzeiten mindestens 6,5 Meter groß gewesen sein muss. Er war damit so groß wie ein Bus und gehörte durchaus zu den Riesen der Urzeitmeere. Doch sein Maul passt nicht zum Bild der bisher bekannten Kreidezeit-Pliosaurier: Statt breit und kräftig sind die Kiefer von „Luskhan itilensis“ extrem schmal und eher fragil.

Die großen Pliosaurier der Kreidezeit jagten auch andere Meeressaurier und sogar Dinos – nicht so Luskhan. © Nobu Tamura/ CC-by-sa 3.0

„Das ist das erstaunlichste Merkmal dieses Fossils“, sagt Fischer. Denn die frühen Pliosaurier des Jura waren zwar noch klein, langhalsig und hatten schmale Schnauzen. In der Kreidezeit jedoch hatten diese Meeressaurier sich längst zu kurzhalsigen Top-Prädatoren mit breiten, kräftigen Kiefern entwickelt. „Man dachte deshalb, dass die Pliosaurier damals auf nur wenige ökologische Nischen beschränkt waren“, erklären die Forscher.

Ganz andere Nische

Doch der neuentdeckte Pliosaurier widerspricht dem nun. Er ähnelt mit seiner schmalen, langen Schnauze eher den fischfressenden Polyctyliden, einer entfernt mit den Pliosauriern verwandten Gruppe der kreidezeitlichen Meeresreptilien. Auch Luskhan itilensis – obwohl ein Pliosaurier – war offenbar kein Jäger größerer Beutetiere, sondern fing ebenfalls eher kleine Fische.

„Das deutet darauf hin, dass die Pliosaurier damals eine weit größere Bandbreite ökologischer Nischen besetzten als bisher angenommen“, sagt Fischer. „Ihre evolutionäre Geschichte war komplexer als es die typische Vorstellung als gigantische Top-Prädatoren vermuten ließ.“ Die Paläontologen vermuten, dass sich in den verschiedenen Pliosaurier-Linien mehrfach Arten mit anderer Lebensweise und den entsprechenden Anpassungen entwickelten.

Gegen das Aussterben schützte die Pliosaurier dies jedoch nicht: Sie verschwanden sogar schon rund 20 Millionen Jahre vor den letzten Dinosauriern. Ihre Nische im Urzeitozean nahmen dann vorübergehend die ebenfalls sehr großen Mosasaurier ein – bis auch sie beim Massensterben am Ende der Kreidezeit ihr Ende fanden. (Current Biology, 2017; doi: 10.1016/j.cub.2017.04.052)

(University of Liege, 29.05.2017 – NPO)

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