Auf den Kopf gestellt: Ein 300 Millionen Jahre altes Fossil sorgt für Verblüffung unter Paläontologen. Denn dieser reptilienähnliche Säugetiervorfahre war bereits gleichwarm – er konnte seine Körpertemperatur selbst regulieren. Demnach muss die Warmblütigkeit in der Evolution früher entstanden sein als bisher gedacht. Möglicherweise war sie sogar die ursprüngliche Form der Thermoregulation bei den Reptilien und ging erst später wieder verloren, mutmaßen die Forscher.
Bei uns Menschen und anderen Säugetieren regelt ein internes Thermostat die Körpertemperatur: Egal, wie warm oder kalt die Umwelt ist, unser Stoffwechsel sorgt für eine gleichbleibende Betriebstemperatur. Anders ist dies bei Eidechsen, Schildkröten und anderen heute lebende Reptilien: Als wechselwarme Tiere können sie ihre Körpertemperatur nicht stabil halten, sondern werden von der Umgebungstemperatur beeinflusst.
„Kaltblüter“ als Ausgangsmodell?
Nach gängiger Lehrmeinung ist diese „Kaltblütigkeit“ die ursprünglichere – primitivere – Version der Temperaturregulation. Sowohl die gemeinsamen Vorfahren der Reptilien und Säugetiere als auch die meisten Reptilien hätten demnach noch diesen energiesparenderen, einfacheren Stoffwechsel besessen.
Erst vor rund 270 Millionen Jahren, so die Annahme, entwickelten sich die ersten Vierbeiner mit eingebauter „Heizung“. Zu diesen könnten neben den ersten Säugetieren allerdings schon Reptilien gehört haben: Neuere Studien belegen, dass sowohl die Dinosaurier als auch einige räuberische Meeressaurier bereits gleichwarm waren.
Knochen als Thermometer
Jetzt wirft ein 300 Millionen Jahre altes Fossil ein neues Licht auf die Geschichte der Warmblütigkeit. Es handelt sich um Ophiacodon, einen rund zwei Meter langen, reptilienähnlichen Vorfahren der Säugetiere. Ähnlich wie der bekanntere Dimetrodon steht Ophiacodon im Stammbaum sehr nahe an der Abzweigung zwischen Reptilien und Säugetieren.
Martin Sander von der Universität Bonn und seine Kollegen haben nun erstmals untersucht, ob der Ophiacodon ein Warm- oder Kaltblüter war. Möglich ist dies, weil die Warmblütigkeit in den Knochen von Fossilien verräterische Spuren hinterlässt. Weil gleichwarme Tiere schneller und unabhängig von ihrer Umgebung wachsen können, haben ihre Knochen eine charakteristische Struktur. „Wir nennen diese Knochenform fibrolamellär“, erklärt Sander.
Ophiacodon war schon warmblütig
Als die Forscher die Oberarm- und Oberschenkelknochen von Ophiacodon analysierten, zeigten sich auch bei diesem Urzeit-Tier bereits die typischen Warmblüter-Strukturen. „Schon bei Ophiacodon wuchsen die Knochen fibrolamellär“, fasst Sander die Analyseergebnisse zusammen. „Das deutet darauf hin, dass das Tier bereits warmblütig gewesen sein könnte.“
Sollte sich dies bestätigen, dann wäre die Warmblütigkeit im Tierreich bereits deutlich früher entstanden als bisher angenommen – und bei sehr viel archaischeren Tieren. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Warmblütigkeit schon 20 bis 30 Millionen Jahre früher entstanden sein könnte“, sagt Sander.
Umgekehrte Evolution?
Und nicht nur das: Ein warmblütiger Ophiacodon könnte auch die Sicht auf die Evolution der Thermoregulation insgesamt verändern. Denn wenn ein so nah an der Basis von Reptilien und Säugetieren stehendes Lebewesen schon warmblütig war, könnte dies auch für die letzten gemeinsamen Vorfahren beider Stammbaumlinien gelten.
„Das wirft die Frage auf, ob sich seine Warmblütigkeit bei ihm tatsächlich neu entwickelt hat oder ob nicht sogar schon die allerersten Landtiere vor Trennung der beiden Linien warmblütig waren“, sagt Sander. Noch ist das zwar Spekulation. Wenn sich diese These jedoch als richtig erweist, dann könnte die Warmblütigkeit die ursprüngliche Form der Thermoregulation für Reptilien und Säugetiere gewesen sein.
Das würde bedeuten, dass die Kaltblütigkeit der heutigen Reptilien kein archaisches Merkmal ist, sondern eine Neuentwicklung innerhalb ihrer Stammeslinie: Die Vorfahren der heutigen Schlangen, Eidechsen und Schildkröten stellten erst nachträglich wieder auf die energiesparendere Kaltblütigkeit um. (Comptes Rendus Palevol, 2017; doi: 10.1016/j.crpv.2017.02.002)
(Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 19.05.2017 – NPO)