Psychologie

Sprache beeinflusst Zeitgefühl

Bilinguale schätzen Dauer je nach Sprache unterschiedlich ab

Unser Zeitgefühl wird offenbar auch von unserer Sprache beeinflusst. © Ingram Publishing/ iStock.com

Verändertes Zeitempfinden: Zweisprachig aufgewachsene Menschen schätzen die Dauer von Ereignissen je nach Situation unterschiedlich ab. Entscheidend dabei ist, welche Sprache sie zuvor gehört haben. Das zeigt nun ein Experiment. Dass Sprache unser Zeitgefühl beeinflussen kann, sei ein weiterer Beleg dafür, wie sehr sich Sprache auf unsere Wahrnehmung und unser Denken auswirke, schreiben die Forscher.

Sprache ist ein wichtiges Mittel der Kommunikation. Sie verbindet Menschen und hilft, sich miteinander zu verständigen. Doch Sprache kann noch viel mehr als das. Als Teil des kulturellen Gedächtnisses spiegelt sie das Wissen ganzer Bevölkerungsgruppen wider. Zugleich prägt sie die Wahrnehmung und das Denken jener, die sie sprechen – und verändert dabei sogar nachhaltig das Gehirn.

Wie weit dieser Effekt reicht, zeigt sich besonders deutlich bei Menschen, die zweisprachig aufwachsen. So verarbeiten Zweisprachige die Laute der verschiedenen Sprachen in zwei komplett getrennten Bereichen, zwischen denen sie flexibel wechseln können. Dadurch klingen Laute und Silben für sie jeweils leicht unterschiedlich – je nach dem, welche Sprache sie gerade erwarten zu hören.

Wie viel Zeit ist vergangen?

Doch nehmen bilinguale Menschen je nach Sprachkontext nur Klänge anders wahr, oder beeinflusst die Sprache bei ihnen auch andere Bereiche der Wahrnehmung? Wissenschaftler um Emanuel Bylund von der Universität Stockholm haben dies nun am Beispiel von Zeit untersucht.

Ihnen war aufgefallen: In der schwedischen und englischen Sprache wird die Dauer von Ereignissen bevorzugt durch physikalische Distanzen wie kurze Pause oder lange Hochzeit beschrieben. In Spanien oder Griechenland sprechen die Menschen hingegen von der kleinen Pause oder der großen Hochzeit. Manche Sprachen beschreiben Zeit demnach als zurückgelegte Distanz – andere eher als eine wachsende Menge, schreibt das Team.

Diese Beobachtung nutzten die Forscher für ihren Test. Dafür sollten Bilinguale, die sowohl Schwedisch als auch Spanisch sprechen, mehrmals hintereinander abschätzen, wie viel Zeit innerhalb eines vorgegebenen Intervalls vergangen war. Eine Animation auf einem Bildschirm diente dabei der Verwirrung: eine länger werdende Linie oder ein sich füllender Container, die sich mal schneller und mal langsamer veränderten und so kein verlässlicher Indikator für die tatsächliche Dauer waren.

In die Irre geführt

Zu Beginn jeder Testrunde formulierten Bylund und seine Kollegen für ihre Probanden jeweils eine kurze Aufforderung als Startsignal, wobei sie entweder das spanische Wort für Dauer, „duarción“, oder die schwedische Entsprechung, „tid“, benutzten. Würde sich dies auf das Verhalten der Teilnehmer auswirken?

Die Ergebnisse waren eindeutig: Beobachteten sie den sich füllenden Container, ließen sich auf die spanische Sprache gepolte Probanden von dieser Animation in die Irre führen. Sie orientierten sich für ihre Schätzung daran, wie voll der Container war. Bekamen sie die wachsende Linie zu sehen, beeinflusste das ihre Zeitwahrnehmung nicht. Wurden die gleichen Personen hingegen mit dem schwedischen Wort konfrontiert, ließen sie sich von der Linie beeinflussen – der Container jedoch wirkte sich nicht auf ihre Schätzung aus.

Sprache infiltriert die Sinne

Zusätzlich zeigte sich: Ohne das sprachliche Schlüsselwort schnitten die Teilnehmer jeweils ähnlich gut ab – egal, ob sie den Container oder die Linie betrachteten. Der Effekt der Sprache auf die Wahrnehmung verschwand. „Die Tatsache das Zweisprachige flexibel und scheinbar unbewusst zwischen diesen beiden Wegen, die Zeit abzuschätzen, wechseln, ist ein weiterer Beleg für die Macht der Sprache“, sagt Bylands Kollege Panos Athanasopoulos von der Lancaster University.

„Es zeichnet sich immer deutlicher ab, wie leicht Sprache sich in unsere grundlegendsten Sinne hineinschleichen kann – einschließlich unserer Gefühle, unserer visuellen Wahrnehmung und, wie sich nun zeigt, unserem Zeitempfinden“, schließt der Linguist. Gleichzeitig offenbarten die Ergebnisse, dass Bilinguale flexibler denken können. Ihr Springen zwischen verschiedenen Sprachen wirke sich positiv auf Lernprozesse aus – und könne langfristig als Gehirnjogging wirken. (Journal of Experimental Psychology, 2017; doi: 10.1037/xge0000314)

(Lancaster University, 03.05.2017 – DAL)

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