Geowissen

Tsunami: Lücke in Entstehungs-Theorie

Seitlicher Versatz des Untergrunds trägt mehr Energie bei als bisher angenommen

Wellenhöhe des im März 2011 durch das Tohoku-Erdbeben vor Japan verursachten Tsunamis. © NOAA

Das gängige Modell der Tsunami-Entstehung nach Erdbeben stimmt nur halb, wie Forscher herausgefunden haben. Denn landläufiger Meinung nach entstehen solche Tsunamis, wenn der Meeresgrund plötzlich nach oben oder unten schnellt. Der seitliche Versatz spielt dagegen kaum eine Rolle – so dachte man. Doch neue Modelle und Experimente widerlegen dies nun. Demnach trägt der horizontale Versatz sogar mehr als die Hälfte der Energie eines Tsunamis bei.

Ob beim katastrophalen Tsunami im Dezember 2004 vor Sumatra oder im März 2011 vor Japan: In beiden Fälle verursachte ein starkes Seebeben die verheerenden Flutwellen. Nach gängiger Lehrmeinung geschieht dies, weil der plötzliche Versatz des Meeresgrunds auf einmal enorme Wassermengen verdrängt. Sie bilden sich kreisförmig ausbreitende Wasserberge – den Tsunami.

Welche Bewegung des Meeresbodens dabei die meiste Energie an den Tsunami überträgt, ermittelten Forscher bereits in den 1970er Jahren in speziellen Wellenkanälen. Dabei zeigte sich: Wurde der Tankboden ruckartig gehoben oder gesenkt, verursachte dies Flutwellen. Ruckte der Boden dagegen nur seitlich, blieben die Wellen aus. Seither galt die Ansicht, dass der vertikale Versatz des Meeresbodens die treibende Kraft des Tsunami ist.

Auffallende Diskrepanzen

Doch genau diese Vorstellung ist offenbar falsch, wie nun Tony Song vom Jet Propulsion Laboratory der NASA in Pasadena und seine Kollegen belegen. Sie wurden bereits vor ein paar Jahren stutzig, als sie versuchten, den Sumatra-Tsunami von 2004 im physikalischen Modell nachzustellen. Bezogen sie nur den vertikalen Versatz mit ein, erzeugte das Modell nicht genügend Energie, um den Tsunami zu reproduzieren.

Klassisches Modell der Tsunami-Entstehung durch ein Seebeben: Der Meeregrund wird ruckartig vertikal versetzt und überträgt seine Energie so auf das Wasser. © NOAA

„Ich hatte dadurch schon Ergebnisse, die der konventionellen Theorie widersprachen“, sagt Song. „Aber ich brauchte noch mehr Beweise.“ Nach diesen suchten die Forscher in der Physik – und in den alten Wellenkanälen. Sie überprüften anhand der alten Daten und neuer Modelle, ob diese das für die Tsunamis typische Verhältnis zwischen Meerestiefe und Versatztempo korrekt wiedergeben konnten.

Mängel bei alten Wellenkanälen

Dabei zeigte sich: Die in den 1970er genutzten Wellenkanäle waren zu flach und die Bodenbewegung zu langsam, um die tatsächlich bei einem Seebeben vorkommenden Bedingungen nachzubilden. Könnte dieses Manko für die vorherrschende Ansicht verantwortlich sein, dass nur der vertikale Versatz einen nennenswerten Effekt hat?

„Ich begann darüber nachzudenken, ob nicht diese Fehlrepräsentationen auch zu falschen Schlüssen geführt haben könnten“, so Song. Um das zu testen, führten die Forscher nun ihrerseits Versuche in zwei modernen Wellenkanälen durch. Mit diesen und ergänzenden Simulationen rekonstruierten sie die Erdbeben und Tsunamis von 2004 und 2011.

Tsunami an der Küste von Minamisoma in Japan im März 2011 © Sadatsugu Tomizawa/ CC-by-nc-nd 2.0

Gut die Hälfte kommt vom Seitenrucken

Das Ergebnis: Das seitliche Rucken des Meeresbodens trug bei diesen Tsunamis sogar mehr als die Hälfte der Energie bei, wie die Forscher berichten. Entgegen der gängigen Lehrmeinung ist demnach der horizontale Versatz keineswegs vernachlässigbar, sondern spielt eine weitaus wichtigere Rolle für die Tsunami-Entstehung als bisher angenommen.

„Unsere Studie demonstriert, dass es nicht ausreicht, sich nur den vertikalen Versatz des Meeresbodens anzuschauen“, sagt Koautor Solomon Yim von der Oregon State University. „Wir müssen auch die horizontale Bewegung des Untergrunds berücksichtigen, um die Energie zu erfassen, die bei einem Beben auf das Wasser übertragen wird.“

Die neuen Erkenntnisse sollen nun dazu beitragen, die Frühwarnsysteme für Tsunamis besser zu machen. Vor allem die Vorhersage, wie hoch ein Tsunami ausfallen könnte, werden durch die neuen Modelle präziser, wie die Forscher erklären. (Journal of Geophysical Research – Oceans, 2017; doi: 10.1002/2016JC012556)

(NASA/JPL, 02.05.2017 – NPO)

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