Beim Blutdruck gilt keineswegs: Je niedriger, desto besser. Stattdessen steigt das Herz-Kreislauf-Risiko unterhalb des Normalwerts sogar wieder an, wie nun eine Studie belegt. Bei der Behandlung von Bluthochdruck-Patienten sollten daher künftig Untergrenzen für den Blutdruck beachtet werden, sagen die Forscher. Sinkt der Blutdruck durch die Medikation zu stark, sollte die Dosis reduziert werden.
Ein deutlich zu hoher Blutdruck schädigt Gefäße, Herz und Organe – so viel scheint klar. Aktuell gehen Mediziner davon aus, dass länger anhaltende Werte oberhalb von 140 / 90 Millimeter Quecksilber (mmHg) das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfälle erhöhen und die Nieren schädigen können. Patienten mit Bluthochdruck erhalten daher häufig Medikamente, die den Druck senken sollen.
Wie tief sollte der Blutdruck sinken?
Unklar blieb dabei aber bisher, wie niedrig der Blutdruck sinken sollte oder darf. Gilt hier wie beim LDL-Cholesterin: Je niedriger, desto besser? Oder sollte es eine Untergrenze geben? Genau dies haben Michael Böhm von der Universität des Saarlandes und seine Kollegen untersucht.
Für ihre Studie werteten sie die Daten von 30.940 Patienten im Alter ab 55 Jahren aus. 70 Prozent der Teilnehmer litten an erhöhtem Blutdruck und wurden mit einem entsprechenden Medikament behandelt. Die Forscher beobachteten 56 Monate lang die Entwicklung der Blutdruckwerte und das Auftreten negativer Gesundheitsfolgen bei diesen Patienten.
Unter 120 mmHg kann schädlich sein
Das Ergebnis: Eindeutig positiv wirkte sich die Behandlung nur bei den Patienten aus, die stabil auf systolische Blutdruckwerte zwischen 120 und 140 mmHg und einen diastolischen Blutdruck um die 75 mmHg eingestellt waren. Bei ihnen sank die Zahl der Herz-Kreislauf-Probleme und der Todesfälle durch solche Erkrankungen, wie die Forscher berichten.
Anders dagegen bei den Patienten, die systolische Blutdruckwerte unter 120 mmHg erreichten: Sie hatten sogar ein um 14 Prozent höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Ereignisse. Gleichzeitig stieg die Sterblichkeit um 28 Prozent an, wie die Auswertungen ergaben. Ähnliches zeigte sich, wenn der untere Blutdruck-Wert unter 70 mmHg fiel – auch dann erhöhte sich das Herz-Kreislauf-Risiko der Patienten wieder.
Individuelle Therapie entscheidend
Im Falle des Blutdrucks gelte demnach nicht: Weniger ist mehr, konstatieren die Wissenschaftler. Für die meisten Patienten ist demnach ein Blutdruckzielwert von unter 130 mmHg zwar erstrebenswert, nicht jedoch ein noch niedriger Wert unter 120 mmHg. „Das Festlegen einer Blutdruck-Untergrenze könnte daher sinnvoll sein“, sagt Böhm. Die Mediziner empfehlen, bei Patienten lieber die Medikation zu reduzieren, wenn die Werte zu niedrig sinken.
Gleichzeitig jedoch halten sie eine individuelle Therapie für wichtig. Denn beispielsweise Patienten mit einem besonders hohen Schlaganfallrisiko können von einem noch niedrigeren Blutdruck durchaus profitieren, Patienten mit erhöhtem Herzinfarktrisiko dagegen schadet dies eher, wie die Mediziner erklären. (The Lancet, 2017; doi: 10.1016/S0140-6736(17)30754-7)
(Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V., 24.04.2017 – NPO)