Beute mit Zusatznutzen: Forscher haben einen seltenen Tiefseekraken bei der Nahrungsaufnahme gefilmt und dabei Erstaunliches festgestellt. Nicht nur, dass der Kopffüßer offenbar auf Glibberspeise in Form von Quallen steht. Er nutzt seine Beute außerdem weiter, nachdem er ihre Eingeweide gefressen hat. Demnach zieht er den leblosen Schirm mitsamt der giftigen Tentakeln als eine Art Abwehrschild hinter sich her – und womöglich jagt er mit den Waffen seiner Beute sogar weitere Nahrung.
Kraken sind bizarre Geschöpfe: Viele von ihnen sind wahre Meister der Tarnung, können Werkzeuge benutzen und gelten generell als ziemlich intelligent. Darüber hinaus paaren sich die Meeresbewohner mitunter mit beiden Geschlechtern und bebrüten ihre Eier oft jahrelang. Meeresbiologen haben nun ein weiteres faszinierendes Verhalten eines dieser Kopffüßer aufgedeckt: Der Tiefseekrake Haliphron atlanticus überraschte das Team um Henk-Jan Hoving vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel mit seinem skurril anmutenden Jagdverhalten.
„Haliphron atlanticus gehört zu den größten bekannten Krakenarten überhaupt. Weibchen können eine Länge von bis zu vier Metern und ein Gewicht bis zu 75 Kilogramm erreichen, während die Männchen nur knapp 30 Zentimeter lang werden“, sagt Hoving. Die Art lebe in der Tiefsee – viel mehr sei über ihre Lebensweise bisher jedoch nicht bekannt gewesen, da die Tiere häufig nur tot in Fischernetzen gefunden werden.
Glibber im Kraken-Magen
Doch mithilfe von ferngesteuerten Unterwasserrobotern gelang es den Wissenschaftlern endlich, die schwer auffindbaren Kraken in den verborgenen Tiefen des Ozeans genauer zu beobachten. Während einer Expedition in der kalifornischen Monterey Bay und vor Hawaii entdeckten sie dabei ein Exemplar, das offenbar Freude an Glibberspeisen hatte: Es hielt eine große Qualle in seinen Armen fest.
Daraufhin untersuchte das Team Bildmaterial von zwei vorherigen Begegnungen mit Haliphron. Dabei stellte es fest, dass eines der anderen Exemplare ebenfalls eine Qualle in seinen Fangarmen hielt. „Als wir anschließend den Mageninhalt von fünf toten Exemplaren unter die Lupe nahmen, konnten wir erkennen, dass sie ebenfalls Quallen und andere gelatinöse Beute gefressen hatten“, berichtet Hoving.
Beute mit Schutzeffekt
Für die Forscher war damit klar: Für den Tiefseekraken machen Quallen einen wichtigen Teil seines Speisezettels aus. An den giftigen Tentakeln seiner Beute scheint sich Haliphron atlanticus dabei nicht zu stören – ganz im Gegenteil. Es scheint sogar, als würden zumindest die weiblichen Kraken die Abwehrmechanismen der Quallen zu ihrem Vorteil nutzen.
Denn die Weibchen sind so groß, dass sie eine Qualle problemlos vollständig in ihre Arme schließen und trotzdem weiter schwimmen können. Wie das Team berichtet, durchbeißen die Kraken zunächst den Schirm ihrer Beute, um an die nahrhaften Verdauungsorgane zu kommen. Dabei stirbt die Qualle zwar – ein Großteil ihres Schirms und vor allem ihre Tentakeln bleiben aber intakt.
Für Haliphron ist das äußerst praktisch: Die Art und Weise wie der Krake die Qualle hinter sich her ziehe spreche dafür, dass er seine tote Beute womöglich als eine Art Abwehrschild gegen Feinde verwende – oder sie gar zum Fangen weiterer Nahrung verwende, vermuten die Forscher.
„Quallen als Nahrung unterschätzt“
Damit würde sich der Tiefseekrake in eine Reihe mit anderen Kopffüßern eingliedern, die diese eher ungewöhnliche Beute ebenfalls jagen und zweitverwerten. So ist bereits bei drei Familien aus der Gruppe der achtarmigen Tintenfische bekannt, dass sie Quallen fressen oder zur eigenen Verteidigung nutzen.
Da Haliphron atlanticus seinerseits Beute für Pottwale, Blauhaie und Schwertfische ist, lässt die Entdeckung auch Schlüsse auf das gesamte Ökosystem der Tiefsee zu. „Gelatinöses Plankton wie Quallen und ähnliche Organismen wird bisher in seiner Funktion als Nahrung für viele andere Meeresbewohner und damit als Teil der gesamten Nahrungskette unterschätzt“, schließt Hoving. (Scientific Reports, 2017; doi: 10.1038/srep4495)
(GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, 11.04.2017 – DAL)