Kluge Vierbeiner: Sich in Andere hineinversetzen zu können ist eine typisch menschliche Fähigkeit. Doch womöglich sind auch Hunde dazu in der Lage, wie Experimente nun andeuten. Demnach scheinen die Vierbeiner zu verstehen, was andere Personen wissen – und was nicht. Im Test fanden sie auf diese Weise zuverlässig den Weg zu verstecktem Futter. Das Vermögen zur Perspektivübernahme helfe den Hunden, sich in unserer Welt ausgezeichnet zurecht zu finden, schreiben die Forscher.
Hunde gelten nicht umsonst als „bester Freund des Menschen“: Kaum ein anderes Tier hat sich im Laufe seiner Domestikation so stark an uns angepasst. Die Vierbeiner haben nicht nur gelernt, offensichtliche Befehle des Menschen zu verstehen. Sie können auch subtilere Hinweise deuten. So verstehen sie zum Beispiel unser Lächeln als Ausdruck guter Stimmung, können unsere Blicke interpretieren und den emotionalen Gehalt unserer Äußerungen erkennen.
All diese Eigenschaften machen Hunde zu echten Menschenverstehern – keine Frage. Doch wie weit reichen ihre Fähigkeiten wirklich? Wissenschaftler um Amélie Catala von der Veterinärmedizinischen Universität Wien haben nun untersucht, ob die Tiere sich auch in andere Personen hineinversetzen können – eine Fähigkeit, die als typisch menschlich gilt und uns ermöglicht, Gefühle, Absichten, Wissen und Erwartungen Anderer zu erkennen.
Futterverstecker unter Beobachtung
Während Menschen die Unterscheidung zwischen dem „Ich“ und der Perspektive eines Anderen erst im Alter zwischen drei und fünf Jahren allmählich erlernen, wird Tieren diese Zuschreibung von Gedanken – mit wenigen Ausnahmen – meist gänzlich abgesprochen. Ob Hunden damit Unrecht getan wird, testeten Catala und ihre Kollegen mithilfe eines Standardexperiments zur Erforschung der Wissenszuschreibung: dem sogenannten Guesser-Knower-Paradigma.
Dabei beobachteten die Vierbeiner zwei Personen: einen „Wissenden“ und einen „Unwissenden“. Der Wissende bereitete für die Tiere Futter vor und versteckte es schließlich in einer von zwei Schalen – in welcher Schale war für die Hunde jedoch nicht ersichtlich, da ihnen eine halbhohe Wand die Sicht auf die entscheidende Stelle versperrte. Der Unwissende war beim Verstecken des Futters entweder nicht im Raum oder hielt sich die Hände vor das Gesicht.
Wer ist der verlässliche Informant?
Anschließend zeigten beide Personen dem Hund das Versteck an: Der Wissende zeigte dabei immer auf das richtige Versteck und der Unwissende auf eine andere Schale, wobei immer alle Schalen nach Futter rochen. Würden die Vierbeiner verstehen, wer das Futterversteck kennt und wer dagegen nur raten kann – kurzum: Auf wen sie sich als Hinweisgeber verlassen können?
Tatsächlich zeigte sich, dass die meisten Hunde den verlässlichen Informanten sofort identifizierten: In knapp siebzig Prozent der Fälle wählten sie die vom Wissenden angezeigte Schüssel und konnten den Test erfolgreich abschließen, wie die Forscher berichten. Dieses Ergebnis war unabhängig von der Position der Futterschüssel, wer den Wissenden darstellte oder wohin der Unwissende schaute.
Nachempfundene Blickwinkel
Selbst bei einem schwierigeren Testaufbau gelang es den Vierbeinern, die menschliche Perspektive einzunehmen, wie ein zweites Experiment enthüllte. Bei diesem Versuch bereitete eine dritte Person in der Mitte das Futter vor, ohne später selbst einen Hinweis zu geben. Zwei potenzielle Informanten waren links und rechts von diesem Verstecker positioniert und blickten in unterschiedliche Richtungen: Eine der beiden Personen hatte den Futterbereiter im Blick, die andere Person sah von ihm weg.
„Die getesteten Hunde mussten also durch Einnahme der Perspektive der Informanten und dem Folgen ihrer Blicke beurteilen, wer der wissende Informant ist, um an das Futter zu kommen“, erklärt Catalas Kollege Ludwig Huber. Das Ergebnis: Auch in diesem Fall waren die Hunde wieder in knapp siebzig Prozent aller Versuche erfolgreich.
Erfolgreiche Perspektivübernahme
„Die Studie zeigt, dass Hunde herausfinden können, was Menschen oder Artgenossen sehen oder nicht sehen können“, sagt Huber. „Indem sie die Position eines Menschen einnehmen und von dort aus seiner Blickrichtung folgen, finden sie heraus, was der Mensch sieht und daher weiß – und folglich, wem man trauen kann und wem nicht.“
Das Erkennen von Wissenszuständen Anderer ermöglicht den Vierbeinern, Herrchen oder Frauchen noch besser zu verstehen: „Die offenbar über eine Kombination aus Domestikation und individueller Erfahrung entwickelte Fähigkeit, unser Verhalten zu interpretieren und unsere Absichten zu antizipieren, scheint bei Hunden auch das Vermögen der Perspektivenübernahme gefördert zu haben“, sagt Huber.
„Noch ist nicht klar, welche Mechanismen dazu beitragen. Diese Fähigkeit hilft den Vierbeinern allerdings, sich in unserer Welt ausgezeichnet zurecht zu finden“, so der Forscher. (Animal Cognition, 2017; doi: 10.1007/s10071-017-1082-x)
(Veterinärmedizinische Universität Wien, 10.04.2017 – DAL)