Gesellschaft

Meinungskette im sozialen Netz

Wann wir fremde Urteile von anderen weiterverbreiten

Welchen fremden Meinungen geben wir ein "Like" - und welchen nicht? © Rodolfo Goulart Sabatino/ iStock.com

Soziale Ansteckung: Forscher haben untersucht, wie sich Meinungen in sozialen Netzwerken ausbreiten – sei es online oder offline. Ihre Experimente zeigen: Wir übernehmen fremde Urteile vor allem von Personen, die wir gut kennen und für kompetent halten. Geben wir diese Meinungen weiter, beeinflussen wir damit jedoch nicht nur unsere direkten Freunde – sondern auch noch deren Freunde und die Freunde dieser Freunde. Mit der sozialen Distanz nehme der Einfluss jedoch ab, berichtet das Team.

Soziale Medien bestimmen die Freizeit von Millionen Menschen weltweit. Auf Facebook, Twitter und Co lesen die Nutzer Posts und Nachrichten und kommunizieren mit ihren Freunden. Dabei verbreiten sie nicht nur ihre eigenen, sondern oftmals auch fremde Meinungen weiter. Und auch offline verbreiten Menschen jeden Tag persönliche Urteile in ihrem sozialen Umfeld.

Welche Meinung wir von anderen Personen übernehmen und welche nicht, hängt von vielen sozialen Faktoren ab. So steigt die Wahrscheinlichkeit dafür, wenn wir eine Meinung aus unterschiedlichen Quellen hören oder auch, wenn wir Menschen mögen, weil sie uns ähnlich sind. Doch was sorgt darüber hinaus dafür, dass sich einige Meinungen und Urteile schneller und weiter verbreiten als andere?

Jeden Tag verbreiten wir persönliche Urteile in unseren sozialen Netzwerken - ob online oder offline. © iStock.com

Meinungsabgleich unter Partnern

Diese Frage haben sich nun Wissenschaftler um Mehdi Moussaïd vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung gestellt. Die Forscher untersuchten, unter welchen Umständen sich Urteile von einer Person zur anderen verbreiten, wie sich der wiederholte Austausch untereinander auf den sozialen Einfluss auswirkt und wie weit ein persönliches Urteil in einer Kommunikationskette weitergegeben werden kann.

Dafür ließen sie insgesamt 100 Probanden, die sich zuvor nicht kannten, eine Wahrnehmungsaufgabe lösen: In Interaktion mit einem zufällig zugeordneten Partner sollten sie beurteilen, in welche Richtung sich die Mehrzahl von 50 Punkten auf einem Bildschirm bewegte. Beide Teilnehmer saßen dabei vor einem eigenen Bildschirm und mussten in jeder Runde ein eigenes Urteil abgeben. Nur einer von ihnen bekam jedoch die Möglichkeit, sein Urteil mit dem des Partners abzugleichen und seine Meinung noch einmal zu ändern. Zudem konnte er sehen, wie gut der Partner abschnitt.

Einfluss steigt mit sozialer Nähe

Wie sehr würde dieser Abgleich mit dem Partner das Urteil beeinflussen? Die Ergebnisse zeigten: Der Einfluss einer Person auf eine andere nahm umso mehr zu, je besser sich beide kennenlernten. „Zu Beginn tendierten die Probanden dazu, das Urteil ihres Partners zu ignorieren, während sie nach mehrfacher Interaktion stark davon beeinflusst waren“, sagt Moussaïd.

Das passierte jedoch nur, wenn der Urteilssender bei den gestellten Aufgaben auch durchweg besser abschnitt als der Empfänger. Es offenbarte sich jedoch auch, dass die Probanden die Irrtümer der anderen Person als schwerwiegender bewerteten als ihre eigenen, berichten Moussaïd und seine Kollegen.

Urteilskette im Test

Mithilfe eines zweiten Experiments untersuchten die Forscher anschließend die Dynamiken hinter der Urteilsweitergabe über mehrere Personen hinweg. Der Testablauf war dabei der gleiche wie im ersten Experiment. Die Kommunikationskette bestand jedoch aus sechs Probanden, die jeweils wieder mehrfach mit ihrem Vordermann agierten. Zudem war die erste Person in der Kette immer im Vorteil. Denn sie bekam Aufgaben mit einem leichteren Schwierigkeitsgrad.

Wie weit würde sich das Urteil in dieser längeren Kette weiterverbreiten? Die Wissenschaftler beobachteten, dass das Urteil des ersten Probanden nicht nur seinen Vordermann beeinflusste, sondern auch noch den dritten und vierten Teilnehmer in der Kette, die keinen direkten Kontakt zu dem ersten Probanden hatten. Allerdings nahm der Einfluss mit der Distanz zur Urteilsquelle ab – und war bei den letzten Personen in der Kette nicht mehr messbar.

Einfluss auf Freunde von Freunden

„In einer anschließenden Simulation konnten wir zeigen, dass der schwindende Einfluss über die soziale Distanz hinweg mit der Überbewertung der Fehler anderer sowie mit einer Informationsverzerrung bei der Weitergabe zusammenhängt. Beides führte zu zeitlichen Verzögerungen und letztlich zum Einflussverlust“, sagt Moussaïd.

Nichtdestotrotz sei es bemerkenswert, dass Menschen nicht nur auf die Urteile ihrer Freunde einen großen Einfluss haben können, sondern auch auf die Meinung von deren Freunden und den Freunden dieser Freunde. „Unsere Ergebnisse tragen zum allgemeinen Verständnis von sozialen Verbreitungsprozessen bei. Wir konnten zeigen, dass sich Urteile zwischen direkten Kontakten verbreiten können, ähnlich wie infektiöse Krankheiten“, schließt das Team. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2017; doi: 10.1073/pnas.1611998114)

(Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, 05.04.2017 – DAL)

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