Bewusst kriminell oder bloß fahrlässig? Der Blick ins Gehirn eines Straftäters könnte dies künftig verraten. Denn wenn jemand absichtlich und wissentlich gegen Regeln verstößt, werden in seinem Gehirn andere Areale aktiv, als wenn derjenige bloß fahrlässig handelt, wie nun ein Experiment demonstriert. Damit bekommt die bisher rein juristische Unterscheidung von Absicht oder Fahrlässigkeit erstmals eine neurologische Basis. Zu einer Verurteilung per Hirnscan wird es aber wohl dennoch nicht kommen.
Ob Schmuggel, Mord oder Diebstahl: Wenn es um Straftaten geht und das vom Gericht verhängte Strafmaß, ist eine Frage entscheidend: Hat der Täter wissentlich und mit Absicht gehandelt oder nicht? Die Antwort auf diese Frage kann im Extremfall den Unterschied zwischen Bewährung und jahrelangem Gefängnis bedeuten. Doch wie klar abgegrenzt ist die Grenze zwischen Wissen und bloßem Riskieren? Ist sie überhaupt objektiv ermittelbar?
Ein Koffer mit Schmuggelware
Um diese Frage zu klären, haben Iris Vilares vom University College London und ihre Kollegen ein ungewöhnliches Experiment durchgeführt. „Wir haben 40 Freiwillige gebeten zu entscheiden, ob sie einen Koffer, der vielleicht illegale Drogen enthält, über eine Grenze bringen würden“, so die Forscher. Der Koffer war dabei allerdings rein hypothetisch: Die Probanden lagen zum Zeitpunkt der Entscheidung in einem Magnetresonanz-Tomografen, der ihre Hirnaktivität aufzeichnete.
Der Clou dabei: In einigen Durchgängen wussten die Teilnehmer sicher, dass „ihr“ Koffer Schmuggelware enthielt. In anderen Fällen jedoch blieben sie im Unklaren, der Koffer war einer von fünfen, von denen einer möglicherweise Drogen enthielt. „Wir haben die Probanden so entweder in eine Situation des Wissens gebracht oder aber in eine bloß riskante, fahrlässige Situation“, erklären die Wissenschaftler.
Verräterische Aktivitätsmuster
Was würde der Blick ins Gehirn in diesen Schmuggelsituationen ergeben? Das Ergebnis fiel erstaunlich eindeutig aus: Entschieden sich die Probanden, wissentlich zu schmuggeln, reagierte ihr Gehirn anders, als wenn sie bloß das Risiko für einen Gesetzesverstoß in Kauf nahmen. Das Muster der aktivierten Hirnareale unterschied sich deutlich, wie die Forscher berichten.
Wusste der Proband sicher, dass sein Koffer Schmuggelware enthielt, dann leuchteten unter anderem Teile des präfrontalen und orbitofrontalen Cortex auf – Regionen im Stirnhirn, die für Entscheidungen und das Abwägen von Wahrscheinlichkeiten zuständig sind. Auch einige mit moralischen Überlegungen assoziierte Hirnareale wurden aktiv.
Treffsicherheit immerhin bei 70 Prozent
„Wir konnten allein anhand dieses Aktivitätsmusters mit hoher Genauigkeit vorhersagen, ob ein Proband sicher Bescheid wusste oder bloß waghalsig handelte“, sagen Vilares und ihre Kollegen. In durchschnittlich 71 Prozent der Fälle reichte der Blick auf den Hirnscan, um die Situation des Probanden korrekt zu rekonstruieren.
„Damit belegt unsere Studie, dass man auf Basis von Hirnscans im Prinzip vorherzusagen kann, in welchem juristisch definierten Zustand eine Person eine Tat begeht“, konstatieren die Forscher. Die klar erkennbaren Unterschiede in der Hirnaktivität belegen demnach, dass die juristische Unterscheidung von Absicht und Fahrlässigkeit tatsächlich eine neurologische Entsprechung hat.
Hirnscans vor Gericht?
Was aber bedeutet dies konkret? Werden in Zukunft Angeklagte auf Basis von Hirnscans verurteilt werden? Dazu wird es wohl nicht kommen – und das gleich aus mehreren Gründen, wie die Wissenschaftler betonen.
Zum einen kann das spezifische Hirnmuster der „Absicht“ auch in anderen, nicht-kriminellen Situationen auftreten. Denn es drückt vor allem den Unterschied zwischen Wissen und bloßem Abschätzen der Risiken aus – wenn auch mit einer gewissen moralischen Komponente. „Es wäre daher absurd, den mentalen Zustand eines Angeklagten allein auf die Klassifikation seiner Hirndaten zu reduzieren“, so Vilares und ihre Kollegen.
Zum anderen wurde das verräterische Muster bisher nur im Moment der „Tat“ nachgewiesen. „Und es ist wohl offensichtlich, dass die meisten Kriminellen ihre Tat nicht in einem Hirnscanner begehen“, konstatieren die Forscher. „Bisher wissen wir nicht, ob es prinzipiell auch möglich ist, den mentalen Zustand einer Person auch Minuten, Stunden oder gar Tage nach einer Tat mittels Hirnscans zu rekonstruieren.“
Schützenhilfe für die Rechtsprechung
Dennoch haben die neuen Erkenntnisse durchaus Relevanz für das Strafrecht, wie die Wissenschaftler betonen. Denn sie belegen, dass die juristische Unterscheidung zwischen Absicht und Fahrlässigkeit nicht willkürlich ist, sondern wahrscheinlich wirklich verschiedene mentale Haltungen und Zustände darstellt.
„Diese beiden legalen Konzepte sind im menschlichen Gehirn klar repräsentiert“, so die Forscher. „Das ist ein großer Fortschritt in einem Gebiet, in dem bisher das Gesetz nur raten konnte, ob und wie bestimmte mentale Zustände die Straffähigkeit beeinflussen.“ (Proceedings of the National Academy of Science, 2017; doi: 10.1073/pnas.1619385114)
(PNAS/ Virginia Tech, 14.03.2017 – NPO)